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London hält an Fahrplan fest Der Brexit im Schatten der Pandemie

Bis Ende Jahr will Grossbritannien die EU verlassen und sich dabei nicht von der Pandemie bremsen lassen – trotz den Forderungen nach einer Verlängerung der Übergangszeit.

Das Coronavirus hat in Grossbritannien alles verdrängt – sogar den Brexit. Der Premierminister und ein Teil seiner Regierung liegen immer noch virusbedingt rekonvaleszent im Bett. Fehlende Schutzanzüge für das Gesundheitspersonal und die hohe Sterblichkeit in Altersheimen dominieren die Schlagzeilen.

Und so konnte der Schatzkanzler vergangene Woche nebenbei und unwidersprochen verkünden, am Brexit-Fahrplan werde festgehalten. Die britische Regierung werde auch angesichts der Pandemie keine Verlängerung der Übergangsphase beantragen. Ende Jahr werde man sich definitiv von der EU trennen – mit oder ohne Handelsvertrag.

«Wir haben die EU Anfang Jahr verlassen», so der Schatzkanzler. «Wir haben mit Brüssel einen Scheidungsvertrag ausgehandelt. Nun geht es darum, bis Ende Jahr ein Freihandelsabkommen abzuschliessen. Nun wird mit der EU verhandelt. Die britische Regierung ist überzeugt, dass wir unseren Fahrplan trotz der Pandemie einhalten können.»

Marschhalt gefordert

Eine Verlängerung der Übergangszeit zu beantragen, wäre problemlos möglich. Premierminister Johnson hätte bis Ende Juni Zeit dafür. Eine Mehrheit der britischen Bevölkerung wünscht sich gemäss einer Umfrage mittlerweile sogar eine solche Verlängerung.

Prominente regierungskritische Stimmen, wie Londons Bürgermeister Sadiq Khan, sehen es gleich. Eine globale Krise mit einem dramatischen Einbruch der Wirtschaft sei der falsche Moment, um den Wirtschaftsalltag mit dem wichtigsten Handelspartner noch komplizierter zu machen, sagt er gegenüber der BBC.

In einer solchen Krise sei es existenziell, die Probleme Schritt für Schritt, pragmatisch und ideologiefrei anzugehen. «Im Moment verlieren Tausende von Menschen in unserem Land ihr Leben», so Bürgermeister Khan.

«Und einige Tausend werden ihr Leben wahrscheinlich noch verlieren. Die Regierung sollte sich deshalb nun allein auf diese Krise konzentrieren und nicht noch nebenbei Verhandlungen über unsere wirtschaftliche Zukunft führen. Unsere Wirtschaft ist in diesen Wochen um 30 Prozent eingebrochen, wir dürfen unter keinen Umständen das Risiko eingehen, die EU Ende Jahr ohne Handelsvertrag zu verlassen. Unser Chefunterhändler und die Regierung sollten alles unternehmen, um dies zu verhindern.»

Brexit wird zum Nebenschauplatz

Brüssel hat signalisiert, für eine Verlängerung der Übergangsphase und damit mehr Zeit für Verhandlungen eines möglichen Freihandelsabkommens Hand zu bieten. Die Regierung in London hat für solche Anliegen kein Gehör. David Frost, der britische Chefunterhändler, hat am Wochenende noch einmal deutlich festgehalten, dass seine Regierung einer Verlängerung nie zustimmen werde.

Dieses kategorische Nein hätte vor einigen Monaten noch eine heftige Debatte ausgelöst, doch die Pandemie machte den Brexit zu einem Nebenschauplatz. Das Coronavirus hat die Brexit-Debatte verstummen lassen. Die Anhänger eines harten Brexits könnten deshalb von der Pandemie profitieren.

Diese hat das Sorgenbarometer der britischen Bevölkerung völlig neu kalibriert. Allfällige administrative Hürden und Wartezeiten an Grenzen und Lastwagenkolonnen im Fall eines harten Brexits sind angesichts der Gesundheitskrise Nebensächlichkeiten geworden. Und für Empörung der Opposition ist mitten in der grössten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg schon gar kein Platz.

Echo der Zeit, 18 Uhr, 20.04.2020

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