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Machtkampf in Warschau Grossdemo gegen neue polnische Regierung – darum geht es

In der polnischen Hauptstadt Warschau haben heute, Donnerstag Zehntausende Anhänger der nationalkonservativen Opposition für «die Verteidigung der Demokratie und der Meinungsfreiheit» demonstriert. Es war die erste Grossdemonstration gegen die neue polnische Regierung von Donald Tusk. Osteuropa-Korrespondent Roman Fillinger beantwortet die wichtigsten Fragen.

Roman Fillinger

Osteuropa-Korrespondent

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Roman Fillinger ist Osteuropa-Korrespondent von Radio SRF. Von 2007 bis 2018 arbeitete er in verschiedenen Funktionen beim «Echo der Zeit», zuletzt als Moderator und stellvertretender Redaktionsleiter.

Worum geht es den Demonstrierenden?

Für Jaroslaw Kaczynski, den mächtigen Chef der nationalkonservativen Partei PiS, geht es um nichts weniger als «die Demokratie und die Unabhängigkeit Polens». Er und seine Anhänger sind entsetzt, dass die Polizei am Dienstag zwei nationalkonservative Abgeordnete inhaftiert hat. Diese sind rechtskräftig verurteilt, wurden von Staatspräsident Andrzej Duda, einem Verbündeten der PiS, aber begnadigt. Ob diese Begnadigung legal war oder nicht, wird von verschiedenen Gerichten unterschiedlich beurteilt. In den Augen der Demonstrierenden sind die beiden Inhaftierten politische Gefangene. Die Regierung betrachtet sie als verurteilte Kriminelle.

Das ist der aktuelle Aufreger. Grundsätzlicher ist das andere Thema des Protestes. Die PiS-Anhänger und -Anhängerinnen wehren sich nämlich auch dagegen, dass die neue polnische Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk die Kontrolle über die staatlichen Medien übernommen hat.

Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude.
Legende: Zehntausende demonstrierten in Warschau gegen die Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk. Keystone/EPA/Przemyslaw Piatkowski

Was hat die neue Regierung verändert bei den staatlichen Medien?

Kaum im Amt hat der neue Kulturminister in Eigenregie das Spitzenmanagement und die Aufsichtsräte der öffentlichen Medien entlassen. Insbesondere das Fernsehen erfülle das Gebot der Ausgewogenheit nicht. Daraufhin weigerte sich Staatspräsident Andrzej Duda, einen Haushaltserlass zu unterschreiben, in dem auch gut 600 Millionen Franken für die Staatsmedien vorgesehen waren. Als Reaktion darauf hat wiederum der Kulturminister die Auflösung der Staatsmedien eingeleitet. Später sollen sie neu gegründet werden.

Stossen die Aktionen der Regierung nur bei der nationalkonservativen Opposition auf Kritik?

Nein. Ein erstinstanzliches Gericht hat die Entlassung der Führungsriege der Staatsmedien durch den Kulturminister für illegal erklärt. Und auch regierungsfreundliche Juristinnen und Juristen zweifeln daran, ob das Vorgehen der Regierung Tusk legal ist. Viele bemängeln zudem, dass die neue Regierung nicht klargemacht hat, wie sie die Unabhängigkeit der Staatsmedien künftig garantieren will.

Wie hat sich die aktuelle Berichterstattung verändert?

Viele der Gesichter, welche die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Senders TVP in den letzten Jahren geprägt haben, sind vom Bildschirm verschwunden oder haben zu einem privaten Kanal gewechselt. Die Hauptinformationssendung im Fernsehen hat einen neuen Namen bekommen und gibt sich Mühe, ausgeglichen zu berichten. Daneben gab und gibt es in Polen neben den Staatsmedien eine politisch breit gefächerte private Medienlandschaft.

Gibt es ähnliche Machtkämpfe auch in anderen Bereichen des Staates?

Ja. Die rechtskonservative PiS-Partei hat in acht Jahren an der Macht in fast allen staatlichen Institutionen ihre Parteigängerinnen und Parteigänger installiert. Sie ist dabei deutlich weiter gegangen als sämtliche demokratisch gewählten Regierungen vor ihr.

Besonders gravierend ist das in der Justiz. Die PiS hat dafür gesorgt, dass Richterposten mit politischen Verbündeten besetzt wurden. Deshalb betrachtet der Europäische Gerichtshof zum Beispiel das polnische Verfassungsgericht nicht mehr als unabhängiges Gericht.

In der Justiz wieder für Unabhängigkeit zu sorgen, dürfte noch komplizierter und noch konfliktreicher werden als bei den staatlichen Medien. Widerstand ist insbesondere von Präsident Andrzej Duda zu erwarten, der mit seinem Veto neue Gesetze verhindern kann. Er kann noch bis 2025 im Amt bleiben.

Echo der Zeit, 11.01.2023, 18:00 Uhr ; 

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