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Machtwechsel im Sudan «Die Sudanesen trauen dem Militärrat nicht»

Im Sudan halten die Demonstrationen nach dem Militärputsch an. Viele Sudanesen befürchteten, das Militär könnte den Machtwechsel hin zu einer Zivilregierung torpedieren, sagt SRF-Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier.

Anna Lemmenmeier

Auslandredaktorin

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Anna Lemmenmeier ist Auslandredaktorin zuständig für Mittelamerika, Mexiko und die Karibik. Von 2017-2024 war sie Afrika-Korrespondentin von Radio SRF und lebte in Nairobi. Davor war sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion. Sie hat internationale Beziehungen, Geschichte und Völkerrecht an den Universitäten von Bern, Genf und Ghana studiert.

SRF News: Warum sind die Sudanesinnen und Sudanesen denn immer noch nicht zufrieden?

Anna Lemmenmeier: Ihre Hauptforderung ist noch nicht erfüllt. Sie wollten den Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Baschir – mit ihm sollte aber das ganze Regime abtreten. Die Demonstranten wollen nicht einen Militärrat, sondern eine Zivilregierung. Deshalb wehrten sie sich am Montag auch derart heftig, als Soldaten ihre Sitzblockade auflösen wollten.

Kommt der neue Militärrat den Demonstrierenden nicht in vielem entgegen?

Doch. Symbolisch dafür ist der Rücktritt des ersten Vorsitzenden des Militärrats. Er war ein enger Vertrauter Baschirs und repräsentierte das alte Regime zu 100 Prozent. Der Druck der Strasse führte innert eines Tages dazu, dass er in den Ruhestand geschickt wurde. Auch der gefürchtete ehemalige Geheimdienstchef Abdallah Gusch musste gehen.

Im Militärrat sitzen dieselben Köpfe, die Sudan 30 Jahre lang autokratisch regiert haben.

Der Militärrat versprach, Baschir-Getreue festzunehmen, politische Gefangene freizulassen und nicht länger als nötig an der Macht bleiben zu wollen. Man sei für eine Zivilregierung, es solle freie und faire Wahlen geben, hiess es zudem. Doch so lange das alles nicht Realität ist, trauen die Sudanesen dem Militärrat nicht. Denn es sind dieselben Köpfe, die Sudan 30 Jahre lang autokratisch regiert haben – auch wenn ihre obersten Anführer abtreten mussten.

Wie sind die neue Militärführung und der Militärrat einzuordnen?

Der neue Vorsitzende, General Abdel Fattah al-Burhan, scheint wenig kontrovers zu sein. Er hat versöhnliche Töne angeschlagen und die Ausgangssperre aufgehoben, welche die Proteste de facto verboten hätte. Andererseits wurde inzwischen aber der Chef der «Rapid Support Forces» zum Vizepräsidenten des Rats ernannt. Viele Sudanesen empfinden dies als Affront.

«Rapid Support Forces»: Elitetruppe mit zweifelhaftem Ruf

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Die paramilitärische Einheit «Rapid Support Forces» kämpfte im blutigen Darfur-Konflikt für Baschirs Regime. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz Verbrechen gegen Zivilisten vor. Im Darfur-Krieg kamen laut Schätzungen der UNO mindestens 300'000 Menschen ums Leben – und er ist der Grund, weshalb Baschir vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt und mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord vorgeworfen. (lema)

Vom weggeputschten Langzeitpräsidenten Baschir fehlt weiterhin jede Spur. Was weiss man über sein Schicksal?

Laut dem Militärrat befindet er sich an einem sicheren Ort. Möglicherweise steht er unter Hausarrest, doch seit dem Putsch hat man ihn in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen. Der Rat liess verlauten, dass Baschir nicht an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werde – er könne in Sudan vor Gericht gestellt werden.

Wer soll den Staat führen, wenn nicht die Leute des alten Regimes?

Was bräuchte es, damit die Demonstrierenden zufrieden sind und der Machtwechsel im Sudan abgeschlossen werden kann?

Das ist die grosse Frage. Die Demonstrierenden, die Opposition und die Militärregierung müssen sich an einem gemeinsamen Punkt finden. Die Protestierenden verlangen die vollständige Auflösung von Partei und Regime Baschirs. Doch dabei stellt sich die Frage, wer den Staat führen soll, denn andere Machtstrukturen gibt es im Sudan keine. Von Seiten der Opposition heisst es, ein Jahr Übergangszeit sei in Ordnung, andere sprechen sogar von vier Jahren. Inzwischen gibt es auch Druck aus dem Ausland. So drohte etwa die Afrikanische Union mit dem Ausschluss des Sudan, wenn nicht binnen zwei Wochen eine Zivilregierung eingesetzt werde. Unterstützung dafür kommt von den mächtigen und reichen Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Katar und Vereinigten Arabischen Emirate. Sie haben das Geld, auf das Sudan dringend als Investitionen angewiesen ist. Denn schliesslich standen am Anfang der Proteste gegen Baschir die desolate Wirtschaftslage im Land.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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