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Menschenhandel und Gewalt Nigeria hat ein Problem mit Babyfabriken

22 Frauen waren eingesperrt und mussten für Babyhändler Kinder gebären – in Nigeria leider ein verbreitetes Phänomen.

Der neuste Fall: In Nigeria sind mehr als 20 schwangere Frauen und zwei Säuglinge aus einer sogenannten Babyfabrik gerettet worden. Es handelt sich dabei um eine illegale Einrichtung zur Zeugung und zum Verkauf von Kindern. Laut den Behörden sollten die Kinder den Kriminellen zum Weiterverkauf für rituelle Zwecke sowie für Kinderschmuggel dienen. Das Militär durchsuchte nach einem Hinweis das Etablissement im Südosten des Landes und befreite die Frauen. Die Besitzerin der Einrichtung konnte fliehen.

Bevölkerungsreichstes Land Afrikas

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Grün-weiss-grüne Flagge von Nigeria.
Legende: Wikimedia

In Nigeria leben rund 230 Millionen Menschen, jedes Jahr kommen sechs Millionen dazu. Damit ist es mit Abstand das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Der Altersdurchschnitt beträgt bloss gut 17 Jahre – zwischen 1989 und 2019 hat sich die Bevölkerung Nigerias verdoppelt. Nigeria verfügt vor allem im Niger-Delta über grosse Ölvorkommen, von denen die Bevölkerung aber kaum profitiert – im Gegenteil: Die Umweltzerstörung im Fördergebiet ist immens, die Gewinne versickern vor allem in korrupten Kanälen.

Das kriminelle System: Sogenannte Babyfabriken fliegen in Nigeria immer wieder auf. Sie sind oft als wohltätige Anlaufstellen für arme junge Frauen getarnt. Hilfesuchende werden dort gegen ihren Willen festgehalten und vergewaltigt. Opfer sind häufig auch ungewollt schwangere Jugendliche, die von zu Hause weglaufen und denen Unterkunft versprochen wird.

Das Schicksal der Neugeborenen: Einige der Kinder würden an wohlhabende Familien verkauft, sagt die Journalistin Katrin Gänsler. Sie hat lange in Nigeria gelebt und berichtet für mehrere Medien aus Westafrika. Diese reichen Familien kauften die Kinder entweder, weil sie selbst kinderlos sind oder weil sie bereits mehrere Söhne oder Töchter hätten und sich noch ein Kind des anderen Geschlechts wünschten. «Kinderlosigkeit ist vielerorts ein Stigma», sagt sie. Es gebe aber auch Vermutungen und Gerüchte, dass die Babys aus den Babyfabriken für Ritualmorde benutzt würden. «Diese Gerüchte kommen auch von Kirchen im Land. Sie behaupten, dass Menschen in Zeremonien geopfert werden. Diese Informationen sind wenig zuverlässig.» Das sei kaum zu überprüfen. Verlässliche Berichte über derartige Verbrechen liegen nicht vor.

Anmerkung:

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In einer früheren Version dieses Artikels wurde nicht deutlich, dass es sich bei den möglichen Ritualmorden um unbewiesene Vermutungen und Gerüchte handelt. Wir haben dies inzwischen präzisiert.

Die Dunkelziffer: «Wie viele Frauen und Kinder in Nigeria von diesen kriminellen Systemen betroffen sind, ist völlig unklar», sagt Gänsler. Sie sagt, dass jedes Jahr ein bis zwei solcher Babyfabriken in Nigeria auffliegen. «Doch die Dunkelziffer ist wohl sehr hoch», so Gänsler.

Die Täter: Über die Hinterleute der Babyfabriken gibt es im Allgemeinen nur wenige gesicherte Informationen. «Vieles sind Gerüchte», so Gänsler. Es gebe wohl Fälle, in denen kriminelle Strukturen dahinter stehen, in anderen Fällen seien es wohl Einzeltäterinnen oder -täter.

Viele Leute auf einem Markt.
Legende: Nigerias Bevölkerung wächst rasant (Bild: ein Markt in der Hauptstadt Lagos). Doch die Infrastruktur und die Job-Möglichkeiten nehmen nicht in gleichem Umfang zu. Reuters/Temilade Adelaja

Die Gründe: Begünstigt werden die kriminellen Menschenhandelssysteme von der Perspektivlosigkeit im Land. «Nigeria wächst jedes Jahr um mehrere Millionen Menschen, doch die Infrastruktur bleibt die gleiche», sagt Gänsler. Damit drängen auch jedes Jahr Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, doch Jobs gebe es für sie kaum. «Deshalb gibt es eine grosse Suche nach Überlebensmöglichkeiten.» Egal, wie fleissig man ist in Nigeria – es ist fast unmöglich, etwas zu erreichen, wenn man nicht aus einem entsprechenden Elternhaus stammt.

Nigeria wächst jedes Jahr um mehrere Millionen Menschen, doch die Infrastruktur bleibt die gleiche.
Autor: Katrin Gänsler Freie Journalistin, lebt in Westafrika

Der schwache Staat: Neben der Perspektivlosigkeit ortet die Journalistin in schwachen Behörden, parteiischer Justiz und korrupter Polizei Gründe für die kriminellen Machenschaften in Nigeria. «Viele Fälle von sexueller Gewalt und Vergewaltigung werden beispielsweise gar nicht angezeigt, weil die Polizei die Fälle sowieso nicht weiterverfolgt oder ermittelt», sagt Gänsler. Ausserdem seien solche Fälle mit grosser Scham behaftet, was viele Opfer ebenfalls davon abhalte, Hilfe bei den oftmals sowieso korrupten Behörden zu suchen.

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SRF 4 News, 7.6.2023, 9:20 Uhr ; 

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