Die Beisshemmung zu allem, was Israel angeht, ist der Geschichte geschuldet. Wie kein zweites Land der Welt muss sich Deutschland mit öffentlichen Ratschlägen zurückhalten. Und doch findet Friedrich Merz heute ungewöhnlich scharfe Worte: «Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht – ich verstehe offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel.» Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen sei, «lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.»
Deutsche Staatsräson
Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson und bedeutet, dass immer für das Existenzrecht Israels eingestanden wird. Dies hatte zuletzt Alt-Kanzler Olaf Scholz im Oktober vorletzten Jahres, wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel erklärt. Genauso wie das schon seine Vorgängerin Angela Merkel 2008 vor dem israelischen Parlament betont hatte.
Dass Deutschland aufgrund dieser Staatsräson in irgendeiner Form dazu verpflichtet wäre, Israel auch bei völkerrechtswidrigem Verhalten zu unterstützen, ist zwar falsch, rein juristisch ist viel gepriesene Staatsräson bedeutungslos. Doch sie dient als rhetorisches Mittel, um die Unterstützung für Israel zu untermauern.
Kein Stopp der Waffenexporte
Mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete fordern wegen des Vorgehens Israels im Gazastreifen, Deutschlands Waffenexporte nach Israel zu beenden. Was der Bundesaussenminister umgehend ablehnte.
Israel sei zahlreichen Gefahren von aussen ausgesetzt. Die Hisbollah, die Huthis und der Iran hätten die Vernichtung Israels zum Ziel, erklärte Johann Wadephul anlässlich eines Besuches in Madrid. Die Bundesregierung sei daher dazu verpflichtet, Israel bei der Gewährung seiner Sicherheit Beistand zu leisten, und dazu gehörten auch Waffenlieferungen. Vor dem Hintergrund der humanitären Lage im Gazastreifen bedeute dies aber «ein grosses politisches und moralisches Dilemma», erklärte Wadephul.
Sorge vor Eskalation
Auch Friedrich Merz distanziert sich keineswegs von der deutschen Staatsräson, Israels Existenz zu sichern. Er unterstreicht die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel. «Aber die israelische Regierung darf nichts tun, was nun irgendwann ihre besten Freunde nicht mehr bereit sind zu akzeptieren.»
Diese neuen Töne zeigen, wie gross die Sorgen der Bundesregierung vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten ist. Merz kündigte an, den israelischen Premier Netanjahu anrufen zu wollen. Der einzige jedoch, auf den der israelische Premier noch hört, ist Donald Trump. Und der lässt Netanjahu bisher freie Hand.