Die Demonstrationen gegen die neue Militär-Diktatur in Myanmar sind praktisch zu Ende. Zu brutal ist das Militär, zu gefährlich ist der Protest. Zehntausende sind aus den Städten geflohen und trainieren im Dschungel für einen Guerilla-Krieg. Sie sind nun überzeugt: Ohne Gewalt wird Myanmar die Militärjunta nie los.
So trainieren die Millennials Myanmars im Dschungelkampf
Nur der Salat aus fermentierten Teeblättern bringt etwas Farbe in den Raum. Sonst ist er grau, weiss und schwarz, ohne Möbel oder Bilder. Es ist ein Unterschlupf und kein Zuhause. J Paing schiebt eine SD-Karte in sein Macbook. Der Journalist lebt in Thailand im Exil. Er ist aus Yangon geflüchtet, weil ihm seine Arbeit dort zu gefährlich wurde.
Zehntausende Städter lassen sich zu Guerilla-Kämpfern ausbilden
Doch die «Revolution», wie alle Menschen aus Myanmar den Widerstandskampf gegen die neue Militärjunta nennen, geht auch für ihn weiter. Er ist soeben zurück aus den Bergen von Myanmar, aus dem Karen-Staat.
Zwanzig Tage hat J Paing mit seiner Kamera im Dschungel verbracht, in den Ausbildungslagern, wo Zehntausende junge Städter sich an russischen Kalaschnikows und amerikanischen M16 zu Guerilla-Kämpfern ausbilden lassen. Seine Bilder geben einen exklusiven Einblick in ein – wieder – abgeschottetes Land. Was er zeigt, sind die Anfänge eines Bürgerkriegs, der Jahrzehnte dauern könnte.
«Julie» ist 28 Jahre alt. Wie alle im Trainingslager trägt sie einen Übernamen – zur Sicherheit ihrer Familie. Sie hat einst Medizin studiert, dann später im Marketing gearbeitet. «Ich kam hierher, weil ich sah, wie das Militär die ethnischen Minderheiten und die Zivilgesellschaft unterdrückt», sagt sie. Mit dieser Entscheidung habe sie ein friedliches Leben mit ihrer Familie geopfert. Sie hätte sich in Yangon unter der Militärjunta arrangieren können, sagt sie: «Aber ich konnte nicht mehr tolerieren, was um mich herum geschah.»
Junge Menschen in Myanmar wie «Julie» haben die letzten zehn Jahre in einem modernen Myanmar gelebt: mit Internet, Smartphones und damit Zugang zur globalen Gesellschaft. Ihre Eltern hingegen lebten noch in einer anderen Welt.
Seit 1962 war Myanmar – damals noch Burma genannt – eine Militärdiktatur. Ab 2011 hat sich das Land langsam geöffnet und die Gesellschaft in zehn Jahren aus dem analogen Zeitalter direkt in die Ära Facebook katapultiert. Der Militärputsch vom 1. Februar hat die Ära der Öffnung abrupt beendet. Doch wie «Julie» will die Mehrheit der Menschen in Myanmar nicht wieder zurück zu einer paternalistischen, korrupten Militärherrschaft.
Die friedlichen Demonstrationen im Februar und März sind wirkungslos geblieben . Mehr als 1200 Menschen hat das Militär erschossen. Wer protestiert, bringt sich in Lebensgefahr. Nachts durchsucht das Militär die Quartiere. Verhaftungen, Folter und brutale Verhöre sind gang und gäbe. Viele sind geflohen, in die Berge und damit in die Territorien der ethnischen Rebellengruppen. Sie bieten den städtischen Demonstrierenden Unterschlupf und bilden sie zum Guerilla-Krieger und zur Guerilla-Kriegerin aus.
Entschlossene Kämpfer trotz mangelnder Ausrüstung
Journalist J Paing hat ein Trainingslager im Karen-Staat besucht. Es dauert 45 Tage. Das Programm ist hart. 4 Uhr: Aufstehen. 5 Uhr: Konditionstraining. 7 Uhr: Frühstück. 8 Uhr: Fahnenaufzug. Dann Drill, Waffe auseinander- und zusammenbauen, Strategien im Guerilla-Kampf. Ab 11 Uhr zwei Stunden Pause. Weitere Übungen. Ab 17 Uhr freie Zeit: Duschen, Abendessen. 20 Uhr Lichter löschen, 21 Uhr Bettzeit. Kontakt mit der Aussenwelt ist verboten.
Der Alltag in einem Trainingslager
«Brad Pitt» ist einer der Ausbilder im Camp. Er war Offizier beim burmesischen Militär. Am 3. April ist er desertiert. Fünf Monate hat er im Untergrund gelebt. Dann hat er sich entschieden, sein Wissen als ehemaliger Offizier weiterzugeben und sich dem Widerstand anzuschliessen. Zehn Jahre war er Soldat und hat bei Kampagnen gegen ethnische Rebellengruppen im Shan-Staat mitgekämpft. Seine Familie hat ihn überzeugt, zu desertieren.
«Ich habe alles geopfert, mein Rang, mein Einkommen, meine Sicherheit, aber die Familie unterstützt mich und darum kann ich diesen langen Weg gehen», sagt er. Nun versucht er, aus Millennials aus den Städten Guerilla-Kämpfer zu machen. «Viele hassen das Militär und weigern sich deshalb, dasselbe zu tun», sagt er. Er versuche jeweils zu erklären, dass das Problem des burmesischen Militärs an der Spitze sitze und eine militärische Grundausbildung unabdingbar sei.
Wir alle wissen, dass es keinen Weg zurück gibt.
«Brad Pitt» bewundert die Entschlossenheit und den Kampfgeist der neuen Rekruten: «Wir alle wissen, dass es keinen Weg zurück gibt.» An Entschlossenheit und willigen Kämpfern mangle es nicht, sondern an Ausrüstung. Es gebe nicht genug Gewehre.
Übermächtiges Militär gegen Widerstandskämpfer
Der Gegner ist übermächtig: Mehr als eine halbe Million Soldaten zählt das burmesische Militär. Es ist ausgerüstet mit professionellem Kriegsgeräten und finanziert sich durch den Verkauf von fossilen Brennstoffen und Edelsteinen. Demgegenüber stehen die sogenannten «People Defence Forces», die in den letzten Monaten mit dem kämpfen, was sie haben. Ihnen treten Widerstandskämpfer nach ihren 45- oder 90-tägigen Trainingslagern bei. Sie bilden Zellen in den Städten und kleinere Verbände auf dem Land.
Die Oppositionsregierung, das «National Unity Government of Myanmar», versucht im Untergrund und aus dem Exil die Widerstandskämpfer zu organisieren. Wie viele Menschen in Myanmar sich dem Widerstand angeschlossen haben, ist unklar. In offiziellen Strukturen sind es um die 50’000. Schätzungen gehen von bis zu 200’000 Kämpfern im Untergrund aus, die in irgendeiner Form Widerstand leisten.
«Bliss», 27-jährig, hat im Marketing gearbeitet und in seiner Freizeit gerappt und Hip-Hop-Videos produziert. Er hat in den Strassen von Yangon seine Freunde sterben sehen.
«Ich habe noch nie jemanden getötet, aber ich versuche mich darauf mental vorzubereiten», sagt er. Er sei bereit, zu sterben. Er fürchte sich mehr davon, nicht genügend Training zu erhalten oder keine Möglichkeit zu haben, zu kämpfen: «Nach dem Training fühle ich mich nun wie ein Diener des Volkes, das ist meine Verantwortung.» Wie bei den anderen Rekruten liegt in Bliss’ Stimme eine tiefe Entschlossenheit und eine absolute Überzeugung, dass die «Revolution» erfolgreich sein wird.
Ihre Gesichter sind müde, aber ihre Zuversicht ist gross
Das hat Journalist J Paing tief beeindruckt. In seiner Exil-Unterkunft in Thailand schildert er seine Eindrücke aus dem Trainingslager. Eine Woche lang hat er die Guerilla-Kämpfer begleitet. Die meisten sind unter 30 Jahre alt. Auch er ist überzeugt, dass sie gegen das Militär gewinnen können. «Ihre Gesichter sind müde, aber ihre Zuversicht ist gross», sagt er. Die Feuertaufe steht bevor. In diesen Wochen geht die Regenzeit zu Ende und die Militärjunta hat eine Grossoffensive geplant.