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Experte: «Eines der wichtigesten Bauwerke der Welt»
Aus SRF 4 News aktuell vom 16.04.2019.
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Mittelalterexperte zum Brand «Schlimmster Verlust eines Weltdenkmals seit Erstem Weltkrieg»

Die teilweise Zerstörung der Kathedrale von Notre-Dame in Paris ist ein schwerer Verlust. Der Mittelalterexperte Peter Jezler erklärt, warum.

Peter Jezler

Peter Jezler

Kunsthistoriker und ehem. Museumsdirektor

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Jezler war von 1997 bis 2009 Dirktor des Historischen Museums in Bern. Später war er Rektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst der Fachhochschule Nordwestschweiz und Direktor des Museums zu Allerheiligen in Schaffhausen. Seit 2015 betätigt er sich als Berater und betreibt eine private Akademie.

SRF News: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Bilder des Brands gesehen haben?

Peter Jezler: Als ich am frühen Abend die ersten Bilder gesehen habe, war mein einziger Gedanke, ob das Gewölbe halten wird. Erste Aufnahmen zeigen, dass Teile des Gewölbes zusammengebrochen sind, andere haben aber erstaunlicherweise gehalten. Man wird nun sehen, wie gross die Schäden sind, insbesondere, ob die Fensterrosen und das Masswerk der Hitze standhalten konnten.

Ist es aus kunsthistorischer Sicht eine Katastrophe?

Ja. Seit der Bombardierung des Doms in Reims im Ersten Weltkrieg ist dies der schlimmste Verlust eines wichtigen Weltarchitekturdenkmals.

Viel Substanz kann man nicht ersetzen, man muss alles neu machen und es wird anders wirken.

Die Kathedrale von Notre-Dame in Paris ist achthundert Jahre alt, über 200 Jahre lang wurde an ihr gebaut. Was ist an ihr besonders?

Die Zeit der Gotik hat auf der Île de France etwa um 1130 begonnen. 1163 begann man mit dem Bau dieser an Massen alles übertreffenden Kathedrale. Wir finden darin sehr viel Experimentelles, beispielsweise den Übergang von der Frühgotik zur Hochgotik. Paris war damals der Nabel der Welt. Dort haben die Wissenschaft und die Kunst die höchste Blüte in dieser Zeit erreicht.

Nach dem Bildersturm wollte man die Kathedrale Notre-Dame zu einer Kathedrale der Weisheit und des Wissens machen.

Beeindruckend an der Kathedrale ist auch ihre Dimension. 10’000 Menschen haben darin Platz. Ist das aussergewöhnlich?

Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wird zwar im Volumen von der Kathedrale von Amiens noch übertroffen. Aber rein die Fläche mit 130 Metern Länge macht sie zu einem der grössten Denkmäler der gotischen Architektur.

Anhänger der Französischen Revolution verwüsteten Ende des 18. Jahrhunderts das Innere der Kirche. Aber sie rissen sie nicht ab, anders als andere Sakralbauten. Hat das einen speziellen Grund?

Ja, die Revolutionäre stürzten die Königsfiguren von der Fassade runter. Das war ein Symbol dafür, dass der Feudalismus überwunden worden war. Man wollte danach die Kathedrale Notre-Dame zu einer Kathedrale der Weisheit und des Wissens machen.

Die Bedeutung der Notre-Dame wurde uminterpretiert?

Ja, man kann sagen, der Bildersturm hatte eine destruktiv-bildschöpferische Wirkung

Die Kirche erhielt später eher wenig Beachtung, sie zerfiel. Das änderte sich erst nach 1831 als Victor Hugos Roman «Der Glöckner von Notre-Dame» erschien. Hat der Roman die Kathedrale vor dem Zerfall gerettet?

Das mag mit ein Grund gewesen sein. Allerdings lag damals die Restaurierung der mittelalterlichen Architektur im allgemeinen Trend. Goethe gab schon Jahrzehnte früher mit einem wichtigen Aufsatz über das Strassburger Münster den Anstoss. Ich denke, es waren politische Verhältnisse, die die frühere Instandsetzungen verhindert haben.

Was bedeutet Notre-Dame heute aus kunstgeschichtlicher Sicht?

Es ist eines der wichtigsten Architekturdenkmäler, die es auf der Welt gibt. Doch nun ist der originale Dachstuhl verloren. In den Weltkriegen wurden mehrere sakrale Grossbauten von Bomben getroffen. Viel Substanz kann man nicht ersetzen, man muss alles neu machen und es wird anders wirken. Und vor allem haben wir noch kein Bild von den Zerstörungen im Innern, etwa an den Skulpturen an der Chorschranke und an den Fenstern.

Trifft das Feuer nicht nur das Herz von Paris, sondern auch das Herz Frankreichs?

Ich würde sagen, es trifft das Herz der Welt.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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