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Münchner Sicherheitskonferenz Braucht die Welt den Westen noch?

Gibt der Leitspruch einer Veranstaltung zu reden, ist er schon mal gut gewählt. Die Münchner Sicherheitskonferenz stand unter dem Motto der «Westlessness» – der Frage, welche Bedeutung der Westen überhaupt noch hat. Es gibt drei Lager: Jene, darunter viele europäische Spitzenpolitiker, die den Westen tatsächlich für arg geschwächt halten – und seit Donald Trump in den USA regiert, gar nicht mehr als Einheit wahrnehmen.

Dann die US-Regierung, die überzeugt ist, der Westen – mit dem sie hauptsächlich die USA meint – sei stärker und engagierter als je zuvor. Und schliesslich China und Russland, die sich königlich freuen über den Niedergang des Westens und davon profitieren.

Können heisst nicht unbedingt willens sein

Dabei fällt auf: Gedacht wird jeweils primär an Sicherheitspolitik, an den beispiellosen militärischen Aufstieg Chinas, den Wiederaufstieg Russlands. Obschon, rein militärisch betrachtet, die westliche Überlegenheit nach wie vor intakt ist. Etwas anders sieht es aus, wenn man fragt, ob westliche Länder willens sind, ihre Streitkräfte rasch und entschlossen einzusetzen.

In zweiter Linie geht es um Diplomatie. Blutige Konflikte kochen weiter, in Syrien, im Jemen, in Libyen, im Sahel, in der Ukraine – auch weil der Westen sein Gewicht nicht entschieden in die Waagschale wirft. Entsprechend versandeten in München all die Lösungsbemühungen zu diesen Konflikten.

Macrons Warnung

Am wichtigsten ist der Westen aber für die Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Hier ist besonders Europa gefordert – und gefährdet. Akut bedroht ist es gar nicht durch Kampfflugzeuge und Atombomben. Hingegen durch Unterwanderung, ausländische Einmischung in Wahlen, Propaganda- und Informationskriege.

All das ist in vollem Gang, warnte in München Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Extrem verletzlich sei der Westen diesbezüglich. Zumal er aus wirtschaftlichen und finanziellen Interessen Konflikte scheut. Europa müsse, so Macron, um überhaupt zu überleben, Antikörper entwickeln gegen illiberale, undemokratische Kräfte. Genau deshalb ist es absolut entscheidend, wie die EU den autoritären Tendenzen in Polen oder Ungarn begegnet.

Kleinere Brötchen backen

In einer Welt, in der sich die drei Grossmächte USA, China und Russland streiten und so vieles blockieren, in einer Welt, da selbst in wichtigen Demokratien wie Indien, Türkei oder Brasilien Regierungen mit autoritären Zügen an der Macht sind, ist das Ziel, die ganze Welt zu demokratisieren, eine Illusion. Es muss vorläufig genügen, wenn westliche Länder zumindest bei sich selber eine demokratisch-rechtsstaatliche Alternative zum Autoritarismus verteidigen.

Milliarden von Menschen von Venezuela bis China, von Syrien bis Simbabwe, von Nordkorea bis Iran und Saudi-Arabien würden Freiheit vor Unterdrückung, würden Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wählen – wenn sie denn die Wahl hätten. Es muss den Westen geben, auch als Vorbild.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 15.2.2020, 19.30 Uhr

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