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Ist die Glaubwürdigkeit der USA beschädigt?
Aus Rendez-vous vom 31.08.2021. Bild: Keystone
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Nach dem Abzug aus Afghanistan Auch «unglaubwürdige» Amerikaner sind mächtige Amerikaner

Das Afghanistan-Chaos hat die Glaubwürdigkeit der USA angekratzt, hört man dieser Tage oft. Das muss kein Problem sein.

Als Mitte August die verstörenden Bilder der chaotischen Evakuierung aus Afghanistan um die Welt gingen, war das Urteil umgehend gefällt: Präsident Joe Biden habe mit dem Abzug einen grossen Fehler gemacht, der die Glaubwürdigkeit der USA bei Alliierten und auch bei Gegnern untergrabe.

So sagte beispielsweise der frühere US-Verteidigungsminister Leon Panetta: «Die Glaubwürdigkeit der USA ist infrage gestellt.» Doch was ist überhaupt Glaubwürdigkeit? Der Politologe Daryl Press vom Dartmouth College hat sich zehn Jahre lang mit dieser Frage befasst: Glaubwürdigkeit beruhe auf der Einschätzung anderer, ob ein Staat seine Drohungen wahrmache oder Versprechen einhalte.

Mythenbildung durch Zweiten Weltkrieg

Was aber passiert, wenn er dies nicht tut und zum Beispiel Ultimaten verstreichen oder Partner im Stich lässt? «Erstaunlicherweise hat dies langfristig keine negativen Folgen», sagt Daryl Press: Weder wendeten sich Alliierte ab, noch ermutige dies Feinde. Während vier Jahren habe er in Archiven gesucht, aber keinen einzigen Beweis dafür gefunden, dass ein Glaubwürdigkeitsverlust langfristig negative Folgen hatte. Die Sorge um die Glaubwürdigkeit beruhe vielmehr auf Mythen aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges.

Panetta
Legende: Der ehemalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta sorgt sich um die Glaubwürdigkeit der USA. Forscher blicken in die Geschichte – und sehen darin nicht zwingend ein Problem. Keystone/Archiv

Viele glaubten zum Beispiel, dass es die Nachgiebigkeit Grossbritanniens und Frankreichs gegenüber Hitler gewesen sei – die sogenannte Appeasement-Politik – die Deutschland dazu ermutigte, in Polen einzumarschieren. Doch dies sei falsch: «Es waren der Nichtangriffspakt mit Russland und die militärischen Befestigungen im Westen, die Hitler zum militärischen Angriff motivierten – nicht die Unglaubwürdigkeit von Grossbritannien und Frankreich.»

Professor Robert Kelly, der in Südkorea Politologie lehrt, hat ebenfalls zu dem Thema geforscht. Er nennt ein weiteres historisches Beispiel. In den 60er-Jahren hätten viele US-Politiker vorausgesagt: Wenn die USA aus Vietnam abzögen, werde man unglaubwürdig und die gesamte Region werde dem Kommunismus verfallen. Das sei aber nicht passiert.

Und heute löse der Rückzug der USA aus Afghanistan bei asiatischen Verbündeten wie Südkorea, Japan oder Taiwan, keineswegs Angst aus: «Afghanistan ist bereits nicht mehr Thema Nummer 1 in Südkorea. Und in Meinungskommentaren beklagt niemand den Glaubwürdigkeitsverlust der USA und dessen Konsequenzen für die asiatischen Verbündeten.»

Es gebe Stimmen, die den Rückzug sogar positiv bewerteten, weil sich die USA nun wieder vermehrt den asiatischen Alliierten und der Bedrohung durch China zuwenden könnten.

Warum erst jetzt raus aus Afghanistan?

Auch Glaubwürdigkeitsforscher Daryl Press ist überzeugt: Die Ereignisse am Flughafen von Kabul ermutigten zum Beispiel Peking nicht beim Vorhaben, Taiwan dereinst militärisch anzugreifen: «Vergangene Fehler oder Misserfolge spielen keine Rolle, wenn ein Staat in einer Krise Entscheidungen treffen muss.» Wichtiger sei die Frage, ob ein Verbündeter oder Gegner in diesem Moment das Interesse und die notwendigen militärischen Mittel habe, um seine Verpflichtungen einhalten zu können.

Statt sich um Glaubwürdigkeitsverlust zu sorgen, sollten sich die USA jetzt besser fragen: «Warum brauchten die USA derart lange, um sich aus dem Krieg in Afghanistan zurückzuziehen, der nicht zu gewinnen war?»

Rendez-vous, 31.08.2021, 12:30 Uhr

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12 Kommentare

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  • Kommentar von Norbert Zeiner  (ZeN)
    Noch unglaubwürdiger als die aktuelle US-Regierung sind nur noch Mainstream Medien, die nun selbst dieses beispiellos kapitale und erst noch selbstverschuldete Versagen nicht müde werden schönzureden, nach 4-Jahren im puren Gegenteil.
  • Kommentar von Francis Waeber  (der sich 'nen Wolf lacht)
    Die Macht der USA hängt definitiv von ihren Nato-Verbündeten ab, und die Glaubwürdigkeit jeweils von den verursachenden Regierungschefs. Wobei wir doch nicht vergessen wollen: den Anfang dieses Blödsinns machte Nr. 43, dieses Ende beschloss und ratifizierte Nr. 45. Biden ist nur ausführendes Organ und hat damit letztendlich nichts zu tun. Dass Obama den Unsinn nicht bei Zeiten beendet hat, ist eine der vielen grossen Enttäuschungen seiner Amtszeit....;-))
  • Kommentar von Mark De Guingois  (MDG)
    Die Amerikaner versuchen nicht mehr Weltpolizisten zu spielen. Das ist mal nicht schlecht. Aber sie sind die einzige Militärmacht, die überhaupt fähig war diese Rolle zu übernehmen. Ich glaube kein Wort davon, dass Taiwan und Südkorea keine Angst vor China haben. Wenn die USA nichts unternehmen, werden sie keine Chance haben sich effizient zu verteidigen.

    Mit Beiden sind die USA noch schwächer als mit Trump. Er war ein Grossmaul, aber Beiden ist schwach und alt.
    1. Antwort von Heinz Weber  (Heinz Weber)
      Die Amerikaner müssen nicht versuchen "nicht mehr Weltpolizisten zu spielen".
      Das konnten sie ohnehin noch nie.
      Sie konnten, und das war das Einzige, was diese Grossmacht je geschafft hat: den 2. WK mit A-Bomben beenden.
      Getötete Menschen waren in den Plänen der US-Militärs nie ein wichtiges Kriterium. Panzer und Flugzeugträger sind keine glaubwürdige Argumente für eine bessere die Welt, wenn daheim farbige oder sonst andere Menschen diskriminiert werden.
      Ist das deren Vorbild für Freiheit?
    2. Antwort von Beat Reuteler  (br)
      Die USA sind viel stärker mit Biden, denn mit Trump hatten Sie einen unheilbar kranken Mann an der Spitze. Besser ein alter Mann als ein kranker Mann.