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Nach dem Brexit Die EU schrumpft – auf vielen Ebenen

1971 wurde der chinesische Premierminister Zhou Enlai gefragt, wie die Französische Revolution von 1789 den Westen verändert habe. «Es ist noch zu früh für ein Urteil», soll er geantwortet haben. Auch für eine Brexit-Bilanz ist es noch zu früh, doch fraglos wird der Austritt des Vereinigten Königreichs die Europäischen Union verändern.

Der Traum einer immer grösseren Union ist erst einmal ausgeträumt. Zum ersten Mal seit 1952, dem Geburtsjahr der Vorgängerorganisation EWG, verliert die EU einen Mitgliedsstaat – und noch dazu einen der gewichtigsten.

Kaum noch geostrategische Bedeutung

Den Gewichtsverlust wird die EU auf der internationalen Bühne zu spüren bekommen. Sie verliert rund 15 Prozent ihrer Bevölkerung und ihrer Wirtschaftskraft und damit auch an Gewicht in internationalen Verhandlungen. Denn gerade, wenn es um Handelsdeals geht, misst sich die Stärke am Verhandlungstisch vor allem an der Grösse des eigenen Marktes.

Während die EU immerhin eine Wirtschaftssupermacht bleibt, schrumpft sie sicherheitspolitisch vom Leicht- zum Ultraleichtgewicht. Schon heute hat sie wenig zu sagen. Mit dem Vereinigten Königreich verliert die EU nun auch noch das neben Frankreich einzige Land von geostrategischer Bedeutung. Immerhin verfügt Grossbritannien über eine schlagkräftige Armee inklusive Atomwaffen und einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Loch in der EU-Kasse

Doch nicht nur gegen aussen, auch im Innern wird sich der Brexit bemerkbar machen. Das Vereinigte Königreich zählte zusammen mit Deutschland und Frankreich zu den drei grossen EU-Staaten, die den Charakter des Bündnisses in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben.

Die Briten standen ein für freie Marktwirtschaft, freien Handel und waren zentralistischer Bürokratie abgeneigt. Nun überlassen sie die EU den fleissig-sparsamen Deutschen und den staatsgläubigen Franzosen. Als zweitgrösster Nettozahler wird das Vereinigte Königreich zudem ein Loch in die EU-Kasse reissen und den Verteilkampf um die ohnehin knappen Mittel der EU verschärfen.

Grösse statt Tiefe war das Credo

In Brüssel waren die Briten oft die Neinsager: nein zum Euro, zur Reisefreiheit im Schengen-Raum, zur gemeinsamen Asylpolitik, sowieso nein zu einer EU-Armee und eigentlich auch zu der – in den EU-Verträgen vorgesehenen – «immer engeren Union». Grösse statt Tiefe, das war stets das Credo der Briten: Gegen den Widerstand Deutschlands und Frankreichs kämpften sie für den Beitritt der Türkei zur EU – aber am liebsten zu einer «EU light» ohne Personenfreizügigkeit.

Wird der Austritt der Neinsager die Jasager beflügeln, die Anhänger von «mehr EU» um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron? Wird sich die Europäische Union mit den Briten in die Vereinigten Staaten von Europa ohne Briten verwandeln? Danach sieht es im Moment nicht aus. Längst teilen andere EU-Staaten die Vorbehalte des Vereinigten Königreichs. Allerdings: Wenn es jemals so etwas wie Vereinigten Staaten von Europa geben sollte – dann ganz sicher ohne das Vereinigte Königreich.

Sebastian Ramspeck

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

10vor10, 30.01.2020

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