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Nach Klage von Südafrika Findet in Gaza ein Völkermord statt? UNO-Gericht muss entscheiden

Die südafrikanische Regierung hat sich auf der internationalen Bühne stets vehement für die Sache der Palästinenser eingesetzt. Es ist deshalb kein Zufall, wenn gerade Südafrika angesichts des Gaza-Kriegs zu einem ungewöhnlichen Mittel greift. Nämlich zu einer Klage gegen Israel vor dem obersten UNO-Gerichtshof.

Israel verletze im Gazastreifen die UNO-Völkermordkonvention von 1948. Die israelische Regierung missachte konsequent Vorgaben internationaler Instanzen, sagt der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa. Das sei völlig inakzeptabel.

Für inakzeptabel hingegen erachtet Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Klage Südafrikas. Wenn jemand einen Völkermord verübe, dann sei das die Hamas und ganz gewiss nicht Israel. Aus amerikanischer Sicht wiederum ist die Klage völlig unbegründet, haltlos und kontraproduktiv, so John Kirby, der Sprecher des US-Sicherheitsrats.

Hürden für Schuldspruch liegen hoch

Die UNO-Richterinnen und -Richter hören sich nun beide Seiten an und entscheiden wohl in den nächsten Wochen, ob der Völkermordvorwurf zutrifft. Sie könnten in ihrem Urteil zudem von Israel verlangen, zum Beispiel weitaus mehr humanitäre Hilfe zu ermöglichen oder gar die Kampfhandlungen sofort und umfassend einzustellen. Es geht letztlich um eine Abwägung zwischen Israels Recht auf Selbstverteidigung und der Art und Weise, wie es dieses Recht ausübt.

Die Hürde für einen Schuldspruch wegen Genozids liegt hoch: Es geht nicht nur um die Zahl der Opfer, vielmehr um den Nachweis, dass eine Regierung die Absicht verfolgt, eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen.

Zwar gibt es von einzelnen extremen Ministern im israelischen Kabinett Äusserungen, die von manchen in diese Richtung gedeutet werden. Doch diese Interpretation ist umstritten. Und sie entspricht wohl kaum der generellen Haltung der israelischen Regierung.

Den Haag kann Urteile kaum durchsetzen

Urteile des UNO-Gerichtshofs in Den Haag sind letztinstanzlich, können also nirgends angefochten werden. Und sie sind für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Allerdings verfügt das Gericht über keine Handhabe, keine Polizei und kein Militär, um sie durchzusetzen. Das zeigt etwa der Schuldspruch im Ukraine-Krieg, der von Russland die Beendigung des Eroberungsfeldzugs und den Rückzug von ukrainischem Territorium verlangt.

Falls sich Israel nicht an ein Haager Urteil hielte, wovon auszugehen ist, müsste der UNO-Sicherheitsrat eingeschaltet werden. Er verfügt über Durchsetzungsmittel, die von Sanktionen bis zu militärischen Schritten reichen. Allerdings ist es so gut wie ausgeschlossen, dass der Sicherheitsrat einen entsprechenden Beschluss fällt. Es bräuchte dazu eine qualifizierte Mehrheit und es dürfte kein Veto dagegen geben.

Eine Verurteilung durch das höchste UNO-Gericht dürfte das Verhalten der Regierung Netanjahu kaum unmittelbar verändern. Sie hätte aber für Israel wohl politisch und moralisch gravierende Folgen, gerade in befreundeten Staaten. Es würde für Israel auf der Weltbühne noch einsamer.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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HeuteMorgen, 11.01.2024, 06:00 Uhr

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