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«Die Leute essen Tierfutter»: Wie überleben die Menschen in Gaza?
Aus News Plus vom 01.03.2024. Bild: Reuters/Hossam Azam
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Nach Tragödie um Hilfskonvoi Gaza, Israel und die Welt sehen einen weiteren Tiefpunkt

Über 100 Menschen sollen bei einer Verteilaktion in Gazastadt getötet worden sein. Die SRF-Fachpersonen ordnen ein.

Bei Chaos und Schüssen rund um einen Hilfskonvoi haben am Donnerstag wohl dutzende Menschen im Norden des Gazastreifens ihr Leben verloren. Verlässliche Informationen gibt es kaum.

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Sicher ist nur, dass viele verzweifelte Menschen versucht hatten, sich mit Hilfsgütern zu versorgen. Mehr als hundert sollen nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde dabei gestorben sein. Über 700 wurden demnach verletzt. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist laut Hilfsorganisationen katastrophal. Die Menge der Hilfslieferungen hat sich UNO-Angaben zufolge im Februar im Vergleich zum Vormonat halbiert. Vertreter der Vereinten Nationen warnen vor dem Hungertod tausender Zivilisten. Bereits zuvor hat es Berichte über heftige Rangeleien um Hilfsgüter gegeben.

Susanne Brunner, Leiterin der Radio-Auslandsredaktion, und Sebastian Ramspeck, internationaler TV-Korrespondent, werfen einen Blick auf Gaza, Israel und die Welt.

Der Blick auf Gaza

«Der Vorfall hat sich abgezeichnet», meint Brunner. «Wir sprechen von einer Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen, die von einem Tag auf den anderen keinen Strom, keinen Treibstoff, keine Lebensmittel und kein Wasser mehr erhalten hat. Sie hat bald fünf Monate Dauerbombardierung und grauenhafte hygienische Zustände durchgemacht.» Es herrsche Verzweiflung.

«Palästinenser berichten, dass die israelischen Soldaten ohne Vorwarnung geschossen hätten. Einige Menschen versuchten offenbar, sich zu verstecken. Als sie sich wieder zum Hilfskonvoi getraut haben, hätten die Soldaten wieder geschossen.» Brunner kann lediglich zitieren, was sie selbst auf den sozialen Medien gelesen oder über Kontakte im Gazastreifen erfahren hat. «Die einen berichten von Kopfschüssen. Die anderen von Schüssen in die Beine.»

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Umstände der tödlichen Katastrophe bei Hilfskonvoi in Gaza weiter unklar
Aus Tagesschau vom 01.03.2024.
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«Die Hamas redet von einem weiteren Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung. Ihren Anteil an dieser entsetzlichen Situation im Gazastreifen thematisiert sie aber nicht», so Brunner.

Für die Menschen in Gaza sei jeder Tag voller neuer Tiefpunkte. Doch dieser tragische Vorfall, bei dem hungernde Menschen, bevor sie überhaupt die Hilfsgüter erreichen, erschossen, zu Tode getrampelt oder überfahren werden – «ich denke, dieses Bild steht für das unfassbare Elend im Gazastreifen».

Der Blick auf Israel

Einen offiziellen Kommentar der israelischen Regierung gab es noch nicht. «Israelische Medien berichten aber mit Berufung auf Armeekreise, dass die Soldaten Warnschüsse abgegeben hätten», berichtet Brunner.

Laut Israels Armeesprecher Daniel Hagari sind keine Menschen gezielt angegriffen worden. Bei der Ankunft der Hilfsgüter seien aber zahlreiche Personen auf die Lastwagen gestürmt und es sei zu einem Gedränge gekommen. «Es heisst, die meisten Menschen wurden nicht erschossen, sondern zu Tode getrampelt», sagt Brunner.

Die Truppen vor Ort hätten sich nach dem Vorfall zurückgezogen. Die Angaben der israelischen Armee lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Der Blick auf die Welt

«Nach dem Blutbad sorgt der Gaza-Krieg für eine weitere Empörungswelle», sagt Sebastian Ramspeck. Die Folgen dürften vermutlich aber überschaubar bleiben.

Tragödie führt weltweit zu Reaktionen

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Die Schweiz hat sich «zutiefst besorgt» gezeigt über die hohe Anzahl ziviler Opfer. Solche Vorfälle seien «inakzeptabel» und eine Aufklärung des Vorfalls unerlässlich. Das humanitäre Völkerrecht müsse zwingend eingehalten werden, teilte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf dem Kurznachrichtendienst X mit. Ausserdem brauche es einen sofortigen humanitären Waffenstillstand, um die Zivilbevölkerung zu schützen und humanitäre Hilfe zu leisten.

Die US-Regierung liess verlauten, sie stehe nach der Katastrophe mit der israelischen Regierung in Kontakt und verlange Antworten. «Heute sind zu viele Palästinenser gestorben, und das gilt für zu viele Tage seit dem 7. Oktober», sagte ein Sprecher des US-Aussenministeriums. Der Vorfall zeige, wie verzweifelt die Menschen seien. Sie brauchten mehr Nahrung, mehr Wasser, Medikamente und andere humanitäre Güter. «Und sie brauchen das jetzt.» Miller betonte gleichzeitig: «Wenn die Hamas die Waffen niederlegen würde, könnte das alles heute vorbei sein.»

Die Vereinten Nationen forderten eine Untersuchung. «Es wird eine Zeit der Verantwortung geben», sagte ein Sprecher von UNO-Generalsekretär António Guterres. «Was uns betrifft, wissen wir nicht genau, was passiert ist und ob Menschen durch israelische Schüsse getroffen wurden und starben, ob sie von einer Menschenmenge niedergedrückt wurden oder ob sie von Lastwagen überfahren wurden», so der UNO-Sprecher weiter. UNO-Generalsekretär António Guterres verurteilte seinerseits den Vorfall. «Die verzweifelten Zivilisten in Gaza brauchen dringend Hilfe, auch die im belagerten Norden, wo die Vereinten Nationen seit mehr als einer Woche keine Hilfe leisten konnten», hiess es. 

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich über den Vorfall «zutiefst beunruhigt». Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Geschehnisse zu untersuchen und für Transparenz zu sorgen, schrieb sie auf X. Humanitäre Hilfe sei eine Lebensader für die Bedürftigen, und der Zugang zu ihr müsse gewährleistet sein. «Wir stehen an der Seite der Zivilbevölkerung und drängen auf ihren Schutz im Einklang mit dem Völkerrecht», so von der Leyen.

«Viele Regierungen fordern eine Aufklärung des Vorfalls. Der UNO-Sicherheitsrat kommt zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Zusätzliche Staaten dürften den Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft in Erwägung ziehen», fasst Ramspeck zusammen. «Zudem gefährdet das Blutbad die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe und einen Austausch von Geiseln und Gefangenen.»

Von Regierungen in der ganzen Welt werde es Kritik nicht nur am Terror der Hamas, sondern auch den Vorwurf an Israel geben, im Gaza-Krieg das humanitäre Völkerrecht auf grobe Weise zu verletzen. «Doch solange Israel auf die politische und militärische Unterstützung der USA zählen kann, wird das Land keinen Kurswechsel vollziehen», so Ramspeck. «Der Gaza-Krieg wird weitergehen, von einer Empörungswelle zur nächsten.»

News Plus, 01.03.2024, 16 Uhr, agenturen;schm

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