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Ärzte ohne Grenzen in Gaza Krankenpflegerin: «Nach der Erleichterung folgte die Resignation»

Die Waffenruhe im Gazastreifen ist seit Freitag in Kraft. Noch immer mangle es an Material aller Art, obwohl die Hilfsgüterlieferungen ausgeweitet worden seien, sagt die Notfallkrankenpflegerin Katja Storck. Sie arbeitet seit Mai für die Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Gazastreifen. Das Leben der Menschen habe sich nicht unmittelbar geändert.

Katja Storck

Notfallkrankenpflegerin in Gaza, MSF

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Katja Storck arbeitet seit Mai 2025 als Notfallkrankenpflegerin im Gazastreifen, in einem Spital in in Deir al-Balah. Es ist ihr zweiter Einsatz für Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen.

SRF News: Wie erleben Sie die Lage nach zwei Jahren Krieg?

Katja Storck: Die letzten Tage waren relativ chaotisch, da die Verkündung des Waffenstillstands nicht so klar war. Fängt dieser schon Donnerstag an oder erst Freitag? Gerade Ende letzter Woche herrschte hier erstmal viel Verwirrung und Unsicherheit – vor allem bei unseren nationalen Mitarbeitern und natürlich bei unseren Patienten. Als der Waffenstillstand schliesslich ausgerufen wurde, war da natürlich erstmal Freude und Erleichterung. Aber unmittelbar danach setzte eigentlich auch schon die Resignation ein. Die Menschen leben nach wie vor in Zelten, ohne vernünftige Wasser- und Stromversorgung. Hilfslieferungen kommen erst langsam hinein.

Unsere nationalen Kolleginnen haben in den vergangenen Jahren eine enorme Arbeit geleistet.

Wie geht es den Menschen, mit denen Sie in Kontakt stehen?

Erschöpfung beschreibt es wohl am besten: Seit zwei Jahren in diesem Krieg zu leben, immer wieder vertrieben zu werden, das Zelt immer wieder woanders aufbauen zu müssen. Alle unsere nationalen Kollegen und Kolleginnen haben Familienangehörige verloren, teils die eigenen Kinder. Auch sie sind traumatisiert, hatten aber nie Zeit, das zu verarbeiten, weil man die ganze Zeit im Überlebensmodus war. Viele wollen oder können sich jetzt gar nicht damit auseinandersetzen, wen und was sie alles verloren haben und fokussieren noch mehr auf die Arbeit in den komplett überfüllten Spitälern. Sie haben eine enorme Arbeit geleistet. Sie haben mit einem Lächeln 150 Prozent für jeden Patienten und jede Patientin gegeben. Ich frage mich immer wieder, woher sie die Kraft nehmen. Die internationale Hilfe macht nur einen kleinen Teil des Teams aus, über 90 Prozent der Arbeit wird von unseren nationalen Kollegen und Kolleginnen geleistet.

Es braucht ebenso Zelte und bessere Materialien, um nicht in durchnässten Zelten leben zu müssen.

Was ist momentan die grösste Herausforderung für die humanitäre Hilfe?

Die grösste Herausforderung ist nach wie vor die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Es braucht Operationsmaterial. Es gibt sehr viele Menschen mit Amputationsverletzungen. Es muss Material hineinkommen, um Prothesen bauen zu können. Aber auch Rollstühle. Wir hatten nie genug davon, um diese Patienten mitgeben zu können. Bei Patienten mit beidseitigen Beinamputationen geht ohne Rollstuhl gar nichts. Kinder können von Eltern immerhin noch getragen werden. Es braucht aber auch Medikamente, etwa bei Diabetes und Bluthochdruck. Auch Nahrungsmittel werden weiterhin in grossem Stil benötigt, damit sich jedermann Essen leisten kann und die Suppenküchen ausgestattet werden können. Es braucht ebenso Zelte und bessere Materialien, um nicht in durchnässten Zelten leben zu müssen. Es ist Mitte Oktober und der Winter naht. Es ist kalt, regnerisch und sehr stürmisch hier an der Küste.

Das Gespräch führte Silvia Staub.

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SRF 4 News, 16.10.2025, 06:00 Uhr ; 

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