An Herausforderungen fehlt es der westlichen Militärallianz nicht. Russland will keinen fairen Frieden. Und die Ukraine steht unter Druck wie nie. Doch zu beiden Problemen bot das Nato-Aussenministertreffen bloss Beschwörungen, jedoch kaum Taten.
Einen derart leutseligen Generalsekretär wie den Niederländer Mark Rutte hatte die Nato noch nie. Er versteht es, selbst dann Schönwetter vorzugaukeln, wenn schwarze Wolken über dem Verteidigungsbündnis hängen. Wie gerade jetzt.
Ruttes Durchhalteparolen
Alles ist gut – oder wird zumindest gut. So lautete Ruttes Kernbotschaft vor, während und nach dem Nato-Aussenministertreffen. Russland werde die Stirn geboten, der Ukraine weiterhin und noch stärker geholfen und das Bündnis sei, dank der Aufrüstungsbeschlüsse auf dem jüngsten Nato-Gipfel im Juni, stärker und stärker. Ausserdem sei man sich untereinander einig.
Das klingt wie Pfeifen im Wald. Es gibt zwar Berührungspunkte zur harten Realität, doch Ruttes Einschätzung bildet sie bloss selektiv ab. Zwar pflichteten dem Generalsekretär etliche Aussenminister öffentlich – wenn auch unterschiedlich enthusiastisch – bei. Schliesslich geht es in der Nato stets auch darum, Geschlossenheit zu demonstrieren, selbst wenn diese so brüchig ist wie gerade jetzt. Denn ohne den immer wieder zelebrierten Schulterschluss ist die Abschreckungswirkung der Militärallianz, allen militärischen Mitteln zum Trotz, nicht besonders gross. Das weiss man natürlich in Moskau.
Bei nüchterner Betrachtung sehen alle Nato-Mitglieder mehrfache Defizite:
- Auf die hybride, aber immer aggressivere russische Bedrohung mit Sabotageakten, Desinformation, Cyberangriffen und Drohnenprovokationen hat man bis heute keine überzeugende Antwort. Ob man einen russischen Angriff auf ein Nato-Land entschieden parieren könnte und vor allem würde, ist offen.
- Der Ukraine wird zwar tatsächlich weiterhin geholfen. Aber eben bei Weitem nicht genug, um das Blatt auf dem Schlachtfeld zu wenden, wo Russland vorrückt. Und auf die immer drängendere Frage, welche glaubwürdigen Friedensgarantien der Westen der Ukraine gäbe, falls der Krieg endet, hat das Militärbündnis noch längst keine auch nur halbwegs überzeugende Antwort.
- Als wäre das nicht genug, ist das Bündnis, seit im Weissen Haus wieder Donald Trump regiert, gerade im Begriff, sein wichtigstes und bis anhin dominierendes Mitglied zu verlieren. Auf die USA können sich die europäischen Nato-Mitglieder nicht mehr voll verlassen. Mal wird die Beistandspflicht infrage gestellt. Mal die US-Unterstützung an die Bedingung geknüpft, dass die Europäer die Wehretats praktisch verdoppeln, wovon selbstredend vor allem die US-Rüstungsindustrie profitieren soll. Und im Ukraine-Krieg positioniert sich die Trump-Regierung nicht länger als Teil der Nato, sondern als Vermittler zwischen Russland und der Nato.
US-Aussenminister fehlt bei Nato-Treffen
Dazu passt, dass US-Aussenminister Marco Rubio ohne überzeugenden Grund das Ministertreffen schwänzte. Nato-Kundige können sich nicht daran erinnern, dass das zuvor schon mal einer seiner Vorgänger tat. Unklar ist, ob Rubio nicht nach Brüssel kommen wollte. Oder ob er nicht kommen durfte. Zumal er im Umfeld von Trump als einer der ganz wenigen gilt, die noch entschieden zur Nato halten.
Rubios Abwesenheit jedenfalls ist ein starkes politisches Signal und kein gutes für die Nato. Generalsekretär Mark Ruttes Optimismus gehört zwar zu seinem Pflichtenheft. Glaubwürdig ist er nicht.