US-Präsident Joe Biden erhöht die Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Bis Ende September dürfen maximal 62'500 Flüchtlinge aufgenommen werden. Noch im April wollte er die Grenze bei 15'000 belassen. Diese hatte sein Vorgänger Donald Trump festgelegt. Daraufhin wurde er vom linken Flügel seiner eigenen Partei unter Druck gesetzt und gab nach. Die Anhebung sei ein Wahlversprechen Bidens gewesen, sagt USA-Expertin Sarah Wagner.
SRF News: Wieso ist Biden bei der Obergrenze umgeschwenkt?
Sarah Wagner: In erster Linie war es der Druck innerhalb seiner Partei. Das progressive linke Lager war einfach frustriert, denn die Erhöhung der Obergrenze für Flüchtlinge liegt komplett in Bidens Macht. Das heisst, er muss hier keine Kompromisse eingehen, und er hatte im Wahlkampf ja auch eine andere Obergrenze versprochen. Gerade für das linke Lager ist die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik ein sehr wichtiges Thema. Hier hatte man sich weitaus deutlichere Aktionen gewünscht – gleich zu Beginn.
Wieso tut sich Biden so schwer mit der Flüchtlingspolitik?
Er fährt definitiv einen Schlingerkurs. Sein Team hatte sich schon sehr früh für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen ausgesprochen. Es war letztlich Biden, der sich gegen sein Team entschieden hatte. Anscheinend waren zwei Gründe dafür relevant. Zum einen befürchtete er eine Überforderung der Behörden.
Mit Blick auf die Zwischenwahlen wollte man sich auch bei den Republikanern beim Thema Einwanderung nicht angreifbar machen.
Denn die Administration steht ja momentan vor grossen Herausforderungen an der Grenze zu Mexiko, wo es viele Migranten und unbegleitete Kinder zu versorgen gibt. Biden hat dem System eine Erhöhung der Flüchtlingszahlen anscheinend nicht zugetraut. Zum anderen gab es auch machtpolitische Überlegungen: die Wahrnehmung der Wählerbasis und der Republikaner.
Inwiefern spielen die Wählerinnen und Wähler eine Rolle?
Biden wollte vermeiden, dass die Regierung den Eindruck erweckt, sie verfolge eine laxe Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Mit Blick auf die Zwischenwahlen wollte man sich bei den Republikanern beim Thema Einwanderung nicht angreifbar machen. Gleichzeitig muss sich Biden den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen, weil er sich im Wahlkampf und auch zu Beginn seiner Amtszeit noch komplett anders positioniert hatte beim Thema Einwanderung, und er machte diese auch immer zu einer Wertefrage.
Wieso ist die Flüchtlingspolitik so ein politischer Stolperstein?
Sie ist sehr wichtig für die Mobilisierung der Wählerbasis. Das hat auch Biden im Blick. Und es ist auch ein enorm wichtiges Thema für die Demokraten selbst, für deren Selbstverständnis – gerade für den Linken, progressiven Flügel. Obwohl, selbst die eher etablierten, moderaten Demokraten aus dem Kongress haben Bidens ursprünglichen Entscheid zur Beibehaltung der niedrigen Obergrenze kritisiert. Das heisst, es war nicht nur das linke Lager.
Biden macht nun einen Schritt nach links. Kann er die USA so einen?
Das ist seine Herkulesaufgabe. Aber eine Einigung setzt natürlich auch voraus, dass die andere Seite ein Interesse an einer Diskussion über politische Fragen hat, dass die andere Seite auch einen ernsthaften Kompromiss erzielen will. Das sehen wir aktuell aber bei den Republikanern kaum.
Für Biden war sowieso schon absehbar, dass die Republikanische Partei ihn auf diesem Themenfeld kritisieren wird.
Von dem her war es für Biden nun wohl sinnvoller, erstmal die eigene Partei zu befrieden, als die Hand auszustrecken, da für ihn sowieso schon absehbar war, dass die Republikanische Partei ihn auf diesem Themenfeld kritisieren wird – egal, wie hoch die Anzahl der Flüchtlinge dann tatsächlich ist.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.