Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche und ukrainischer Kirchen sitzen im selben Saal, essen am gleichen Ort, laufen sich zufällig über den Weg – inmitten von Diskussionen zum Krieg. Was schier undenkbar ist, spielt sich in Karlsruhe an der Vollversammlung des Ökumenischen Kirchenrates ab.
Man will eine Gesprächsplattform bieten, eine Annäherung von Ost und West
Der Patriarch Kyrill I von Moskau legitimiert und unterstützt den Krieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine. Er bricht damit mit den wichtigsten ökumenischen Grundwerten, wie beispielsweise dem Pazifismus. Soll diese Kirche dennoch an der Vollversammlung von Kirchen aus 120 Ländern in Karlsruhe teilnehmen – erst noch unter dem Motto Frieden und Versöhnung? «Man will eine Gesprächsplattform bieten, eine Annäherung von Ost und West», sagt die Religionsexpertin von SRF, Judith Wipfler. Es gab dennoch einigen Widerstand, unter anderem auch von der reformierten Kirche der Schweiz. Dennoch reiste die russische Delegation an.
Steinmeiers harte Begrüssungsworte
«Auf einem schlimmen, geradezu glaubensfeindlichen, blasphemischen Irrweg führen zurzeit die Führer der russisch-orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche. Dieser Nationalismus, der willkürlich Gottes Willen für die imperialen Herrschaftsträume einer Diktatur in Anspruch nimmt, diese Haltung muss Widerspruch finden, auch in dieser Versammlung.» Mit diesen Worten eröffnete der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Kongress in Karlsruhe. Im Publikum sassen derweil die russisch-orthodoxen, aber auch die ukrainischen Kirchenvertreter. Steinmeier erntete langen Applaus, die Russen hörten wortlos zu, ohne den Saal zu verlassen.
Es sei gemäss Religionsexpertin Judith Wipfler ein gutes Zeichen, dass die russischen Vertreter vor Ort waren und zuhörten. In einer offiziellen Stellungnahme verurteilte anschliessend die russisch-orthodoxe Kirche Steinmeiers Worte als unzulässige Einmischung, aber die Delegation bleibt am Kongress. Dem gegenüber bedankte sich die ukrainische Delegation für die Solidarität und bat um weitere Hilfe. Weiter forderte die Ukraine Anschluss an die europäischen Kirchenbünde. Wipfler ergänzt: «In einem internationalen Gremium überhaupt wieder einmal auftreten zu können, Präsenz zu markieren, auch wenn man wenig von ihnen hört, diese internationale Isolation aufzubrechen, das ist für sie so wichtig».
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Informelle Treffen als Chance
Auch wenn offiziell keine Gespräche der beiden Delegationen stattfinden, soll es nach Einschätzung der Präsidentin der reformierten Kirche der Schweiz, Rita Famos, zu informellen Treffen kommen: «Ich erwarte keine Wunder hier, aber die Tatsache, dass die beiden Parteien da sind, voneinander wissen, voneinander hören, das werden sie mit nach Hause nehmen. Auf der informellen Seite passiert etwas, sie treffen sich nachher, sprechen miteinander. Ich glaube, diese Plattform zu bieten, war ein richtiges Anliegen und ich hoffe, dass da was passiert.»
Diese Plattform könnte für den Frieden eine Chance sein.
Auch für Religionsexpertin Judith Wipfler sind diese Treffen ein grosser Erfolg: «Viele sagen, es sei fast der einzige Ort, an dem man sich noch begegnet, ohne aufeinander loszugehen. Diese Plattform könnte für den Frieden eine Chance sein.»
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