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Steht Cherson vor der Befreiung?
Aus Rendez-vous vom 19.10.2022. Bild: Reuters
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Offensive im Süden der Ukraine «Die meisten Zivilisten werden Cherson wohl verlassen»

Die russische Armee rechnet laut eigenen Angaben in der südlichen, von ihr besetzten ukrainischen Stadt Cherson mit einem Grossangriff der Ukrainer. Die Bevölkerung wurde von der Besatzungsverwaltung dazu aufgerufen, die Stadt zu verlassen. Was das alles bedeutet, erklärt ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz.

Christian Wehrschütz

Christian Wehrschütz

Journalist beim ORF

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Der österreichische Journalist arbeitet für den ORF. Sein Spezialgebiet umfasst vor allem die Entwicklungen in Osteuropa und dem Balkan. Der preisgekrönte Journalist spricht unter anderem Russisch, Ukrainisch und Serbisch.

SRF News: Bis zu 60'000 Zivilisten sollen aus Cherson evakuiert werden – nach Russland oder zumindest an das Ostufer des Flusses Dnipro. Wird die Bevölkerung dem russischen Aufruf Folge leisten?

Christian Wehrschütz: Nach bisherigen Erfahrungen bleibt immer ein Rest der Bevölkerung zurück in ihrer Stadt. Diese Menschen sind oft alt und wollen sich nicht entwurzeln lassen. Die meisten Zivilisten werden sich wohl aber von den Russen evakuieren lassen, und zwar aus zwei Gründen: So bleiben sie in Sicherheit vor den Kämpfen, und sie geraten nicht in Gefahr, von den Ukrainern als Kollaborateure angeprangert zu werden, sollten diese Cherson tatsächlich befreien können.

Wie sollen Zehntausende Zivilisten innert höchstens sechs Tagen evakuiert werden?

Man wird sehen, ob das überhaupt machbar ist. In einen Autobus passen 50 bis 70 Personen, man braucht also 100 Busse, um 6000 Personen hinauszufahren.

Es ist unklar, ob eine Evakuierung überhaupt möglich ist.

Teilweise sind ja auch die Brücken über den Dnipro beschädigt und es ist völlig unklar, ob eine Evakuierung so überhaupt möglich ist. Derweil heisst es von russischer Seite zwischen den Zeilen, es könnte sogar sein, dass man Cherson aufgeben müsse.

Welche Folgen hätte das für die Region?

Cherson ist die einzige ukrainische Kreishauptstadt, welche die Russen im Krieg bislang einnehmen konnte. Der Vormarsch im Süden der Ukraine war ihr grösster Erfolg zu Beginn des Krieges Ende Februar. Für die Ukraine würde der russische Verlust Chersons bedeuten, dass ein grosser Teil der russischen Bedrohung in Richtung Dnipro im Norden und Odessa im Südwesten abnehmen würde.

Russische Flagge, davor eine Silhouette einer Person.
Legende: Womöglich weht die russische Flagge schon bald nicht mehr über Cherson. Keystone

Zudem hätten die Ukrainer eine viel bessere Verteidigungsposition. Wenn die Russen nun auf die Ostseite des Dnipro zurückgedrängt würden, hiesse das aber auch, dass die Ukrainer die Krim und deren Wasserversorgung bedrohen könnten.

Offensive für Biden?

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Legende: Reuters/Eloisa Lopez

Die ukrainische Offensive auf Cherson habe womöglich auch mit den Zwischenwahlen in den USA am 8. November zu tun, glaubt Christian Wehrschütz: «Die Ukrainer wollen demonstrieren, dass die Waffenlieferungen aus den USA eine grosse Wirkung auf dem Gefechtsfeld haben und sie die Ukraine auf die Siegerstrasse gegen die Russen bringen.» Die USA haben die Ukraine seit dem Angriff Russlands am 24. Februar bislang mit mindestens 16 Milliarden Dollar unterstützt – ein Grossteil davon sind Waffenlieferungen.

In welchem Zustand ist die russische Armee angesichts der Tatsache, dass sie Cherson womöglich aufgeben muss?

Die russische Infanterie ist massiv geschwächt: Die Ukraine hat es geschafft, mehrere hohe russische Generäle zu töten und damit aus dem Spiel zu nehmen. Zudem gab es wegen der mangelnden Erfolge viele Wechsel bei den russischen Kommandanten.

Die russischen Soldaten wissen nicht, wofür sie ihr Leben riskieren – das ist auf ukrainischer Seite völlig anders.

Nicht zuletzt fehlt der russischen Infanterie auch ein gutes mittleres Offizierskorps, das die neuen Kräfte führen könnte, die durch die russische Teilmobilmachung jetzt herangeführt werden. Hinzu kommt die Frage der Kampfmoral: Ich glaube nicht, dass die russischen Soldaten wissen, wofür sie ihr Leben riskieren. Das ist auf ukrainischer Seite völlig anders.

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Archiv: Russen greifen Kiew mit Kampfdrohnen an
Aus 10 vor 10 vom 18.10.2022.
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Können die iranischen Drohnen die russischen Schwächen auf dem Schlachtfeld ausgleichen?

Sicherlich nicht ausgleichen – die iranischen Drohnen können keine Wende im Feld herbeiführen. Sie sind aber schwer zu bekämpfen. Ausserdem ist offensichtlich Nachschub aus Iran unterwegs.

Mit den Drohnen schaffen es die Russen, kritische Infrastruktur schwer zu schädigen.

Mit relativ billigen Mitteln schaffen es die Russen, kritische Infrastruktur wie die Strom-Infrastruktur schwer zu beschädigen. Diese Taktik, die Ukraine vor dem herannahenden Winter massiv zu schädigen, ist sicher auch auf den neuen russischen Oberbefehlshaber Sergej Surowikin zurückzuführen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 19.10.2022, 12:30 Uhr;

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