Zum Inhalt springen

Offensive trotz UNO-Resolution Grossangriff statt Waffenruhe: Israel im diplomatischen Dilemma

Der UNO-Sicherheitsrat fordert eine sofortige Waffenruhe in Gaza. Doch Israel dürfte sich um die Resolution foutieren.

Nach monatelangem Ringen gab es am Montag in New York einen Durchbruch: Erstmals seit Kriegsbeginn fordert der UNO-Sicherheitsrat eine sofortige Waffenruhe in Gaza . Auch, weil der Geduldsfaden von Israels engstem Verbündeten allmählich zu reissen droht: Die USA legten kein Veto ein.

Verstimmungen zwischen Tel Aviv und Washington

Aus Ärger, dass die Amerikaner der Resolution zum Erfolg verhalfen, sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Delegationsreise nach Washington in letzter Minute ab. Die US-Regierung reagierte irritiert und bemühte sich gleichzeitig darum, die Israelis zu besänftigen und die Bedeutung der Sicherheitsrats-Resolution herunterzuspielen.

«Es handelt sich um eine nicht bindende Resolution, die keinerlei Auswirkungen auf Israel und dessen Fähigkeit hat, weiterhin gegen die Hamas vorzugehen», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.

«Israel bleibt enger Verbündeter und Freund»

Box aufklappen Box zuklappen
John Kirby. Kommunikationschef des Nationalen Sicherheitsrates.
Legende: John Kirby. Keystone/EPA/CHRIS KLEPONIS

Die US-Regierung hat sich offen irritiert gezeigt durch die Absage des Washington-Besuchs einer hochrangigen israelischen Delegation. «Ich muss Ihnen sagen, (…), wir sind ziemlich perplex», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby.

Zugleich wies Kirby diverse Fragen dazu zurück, ob die Beziehung zwischen Israel und den USA – und konkret zwischen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und US-Präsident Joe Biden – an einem neuen Tiefpunkt angelangt sei. «Israel ist nach wie vor ein enger Verbündeter und ein Freund.»

Kirby schob jedoch nach: «Das bedeutet nicht, dass wir in allem übereinstimmen, und meine Güte, das tun wir nicht.» Als Freunde könnten beide Seiten aber über ihre Meinungsverschiedenheiten offen sprechen. 

Dabei sind Resolutionen des Weltsicherheitsrats sehr wohl völkerrechtlich bindend. Generalsekretär António Guterres forderte denn auch, die Resolution müsse umgesetzt werden. «Ein Scheitern wäre nicht zu verzeihen», mahnte er auf der Plattform X.

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant kündigte postwendend an, die Kämpfe würden fortgeführt: «Es wäre moralisch nicht vertretbar, den Krieg zu stoppen, während noch immer Geiseln in Gaza festgehalten werden.»

Benjamin Netanjahu
Legende: Die Kriegsziele in Gaza umreisst Benjamin Netanjahu wie folgt: die militärische und politische Zerschlagung der Hamas sowie die Befreiung der Geiseln. Bis die Ziele erreicht sind, werde Israel den Krieg fortführen, so der israelische Premier. KEYSTONE/EPA/AP/OHAD ZWIGENBERG

«Die israelische Regierung will den Krieg so lange fortsetzen, bis die Hamas völlig zerschlagen ist», schätzt Inga Rogg, freie Journalistin in Jerusalem. Im öffentlichen Diskurs in Israel divergieren die Positionen aber durchaus – je nach politischem Lager der Kommentatoren.

«Auf der linksliberalen Seite wertet man die Resolution als Zeichen der verfehlten Politik des Ministerpräsidenten», berichtet Rogg. Der Tenor: Netanjahu treibe Israel in die Isolation. Im rechten Lager würden dagegen Forderungen laut, dass Israel Konsequenzen im Verhältnis zu den USA ziehen soll.

Netanjahu ist von seinem Weg abgekommen. Er stellt sein politisches Überleben über die Interessen Israels.
Autor: Chuck Schumer Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat

Auch in den USA wächst der Unmut. Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, forderte die Israelis vergangene Woche auf, die Regierung abzuwählen: «Netanjahu ist von seinem Weg abgekommen. Er stellt sein politisches Überleben über die Interessen Israels», erklärte der hochrangigste jüdische Politiker in Washington.

Auf offene Konfrontation zu den USA dürfte Israel indes nicht gehen. «Ohne die Unterstützung der Amerikaner könnte es diesen Krieg nicht fortsetzen», sagt Rogg. «Es ist auf die Waffenlieferungen aus Washington angewiesen. Zudem hat Israel in Präsident Biden einen der stärksten Unterstützer, den es sich wünschen kann.»

Umstrittene Grossoffensive

In Israel wird Netanjahu vorgeworfen, einen Sturm im Wasserglas zu provozieren, um sich innenpolitisch als starker Mann zu inszenieren. Gleichzeitig gibt es im rechten Lager Forderungen, dass die hochumstrittene Grossoffensive auf Rafah sofort begonnen werden soll. Dort haben sich Hamas-Kämpfer verschanzt, dorthin sind aber auch Hunderttausende von Palästinensern geflohen.

Betende vor zerstörter Moschee in Rafah.
Legende: «Eine Grossoffensive auf Rafah darf es nicht geben», sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf das Schicksal der vielen Kriegsflüchtlinge in der Stadt. «Menschen können sich nicht in Luft auflösen.» Bild: Betende vor zerstörter Moschee in Rafah. Getty Images/Ahmad Hasaballah

Auch die US-Regierung warnt Israel vor einer grossangelegten Bodenoffensive in der an Ägypten grenzenden Stadt. Dass die Warnrufe gehört werden, ist unwahrscheinlich. «Es sei denn, die USA lassen den Worten Taten folgen – etwa, indem sie Waffenlieferungen einstellen», schliesst Rogg.

Krieg im Nahen Osten

Box aufklappen Box zuklappen

Die Konflikte in Israel, im Westjordanland und im Gazastreifen halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

SRF 4 News, 26.03.2024, 6:20 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel