Wie ein Flüchtlingslager sieht das Jabal el-Hussein Camp in Amman nicht aus. Eher wie ein ganz normaler Stadtteil. Viele Möbelgeschäfte und Werkstätten gibt es hier.
Abdel Fatah Said el Az schneidet in einer winzigen Werkstatt Glas: «Ich bin hier in einem Zelt geboren und aufgewachsen», sagt der Bauarbeiter, der in der Coronakrise seine Stelle verloren hat und nun in der Glaserei seines Sohnes aushilft. «Damals hatten wir keinen Strom, kein Licht, keinen Fernseher. Das war kein Leben, wir hatten als Kinder viele Probleme», erinnert er sich.
Nach der Staatsgründung Israels 1948, und nach dem Sechstagekrieg 1967, kamen Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge nach Jordanien. Mehr, als die Hauptstadt Amman damals Einwohner hatte.
Wenn ich sage, was ich wirklich denke, etwa auf Facebook, riskiere ich Gefängnis. Besonders Israel ist ein heikles Thema.
Zwar hat Abdel Fatah, wie die allermeisten Palästinenser hier, die jordanische Staatsbürgerschaft. Als gleichwertiger Bürger fühlt er sich trotzdem nicht. Er könne seine Meinung nicht gleich frei sagen wie andere Jordanier: «Wenn ich sage, was ich wirklich denke, etwa auf Facebook, riskiere ich Gefängnis.» Besonders Israel sei ein heikles Thema.
«Aufgenommen wie eine Mutter»
Über der Hauptstrasse hängt ein Plakat mit dem Abbild des jordanischen Königs: Mit den besten Wünschen des Palästinenserlagers zum Thronjubiläum. Ganz nah liegt das Büro von Lager-Bürgermeister Ibrahim Azzeh. Er betont seine Loyalität zum jordanischen König, den auch Palästinenser als Nachkomme des Propheten Mohammed und Hüter der Al Aqsa-Moschee respektieren.
«Jordanien hat uns Palästinenser aufgenommen wie eine Mutter», beginnt der Bürgermeister. «Wir würden nie etwas tun, um Jordanien zu schaden.» Damit grenzt er sich klar ab von der Vergangenheit: 1951 erschoss ein Palästinenser Jordaniens König Abdallah den Ersten, 1970 entging König Hussein knapp einem Attentat der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und es kam zum Bürgerkrieg.
Ein Streitpunkt zwischen Jordanien und Palästinensern war Israel immer. Auch jetzt sorgt das Thema für Spannungen. «Ich will einen Rechtsstaat und Frieden», sagt Ibrahim Azzeh.
Nur zwei Dinge könnten die Palästinenser nie akzeptieren: Wenn Israel noch mehr palästinensisches Land annektiere, und wenn es die Rolle des Jordanischen Königs als Hüter der heiligen muslimischen Stätten in Jerusalem untergrabe. «Dann explodieren wir vielleicht», sagt der Bürgermeister.
Während er redet, kommt ein Mann ins Büro und setzt sich, ohne sich vorzustellen. Der Bürgermeister lobt erneut die Standhaftigkeit des Königs gegenüber Israel und wechselt dann rasch zum Fussball.
Dann explodieren wir vielleicht.
Eine schmale Treppe zwischen den eng zusammengebauten Häusern führt zur 70-jährigen Um Sader. Als 16-Jährige flüchtete sie im Sechstagekrieg aus Jericho nach Amman. In ihrem kleinen Wohnzimmer läuft der Fernseher. Nachrichten schaue sie kaum, die seien für die wichtigen Leute, sagt sie und fügt an: «Aber es ist nicht richtig, dass Israel uns Jerusalem und unser Land wegnimmt.»
«Unser König – Gott behüte ihn – wird Jerusalem nie im Stich lassen. Und er wird auch nicht zulassen, dass sie unser Land wegnehmen.» Genau das ist die offizielle Politik des Königs: Er warnt Israel öffentlich-wirksam vor einer Annexion des Jordantals an der Grenze zu Jordanien – welche die Stimmung in seinem Land aufheizen würde.