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Parlamentswahl in der Ukraine Siegen war einfach, regieren wird schwer

Die gute Nachricht vorneweg: Die Ukraine ist eine Demokratie. Die Ukrainerinnen und Ukrainer konnten am Sonntag aus einer Vielzahl von politischen Parteien wählen: darunter linke und rechte, prorussische und prowestliche. Gut 40 Prozent entschieden sich für die «Diener des Volkes», die Partei des Präsidenten. Ob es für eine Mehrheit reicht, war zunächst unklar. Selenski wird möglicherweise einen Koalitionspartner brauchen.

Was für ein Unterschied übrigens zum autoritär regierten Russland. Dort demonstrierten am Samstag über 20'000 Menschen in der Hauptstadt Moskau. Ihre Forderung: Die Regierung soll doch bitte ein paar Oppositionskandidaten wenigstens zur Lokalwahl vom Herbst zulassen. Die Behörden haben mehrere kritische Politiker unter einem Vorwand von dem Urnengang ausgeschlossen.

Manch ein Russe schaut angesichts solcher Willkür neidisch auf die lebendige ukrainische Demokratie. Allerdings löst die Demokratie allein nicht alle Probleme – und Probleme hat die Ukraine viele.

Selenski verspricht, was die Leute hören wollen

Präsident Selenski ist ein hervorragender Wahlkämpfer. Er schnappt Stimmungen im Land auf. Wahrscheinlich eine Eigenschaft, die er sich in seinem früheren Leben als Komiker angeeignet hat. Schon auf der Bühne spürte er den Saal – und setzte punktgenau die richtige Pointe. Als Politiker hat er genau das versprochen, was seine Landsleute hören wollen: ein Ende der Korruption, ein Ende der Armut, ein Ende des Krieges im Osten des Landes. Vor allem aber versprach er, die alte Elite um Präsident Poroschenko zu verscheuchen – und alles besser, alles neu zu machen.

Selenski ist seit zwei Monaten im Amt. Verändert hat sich bisher nicht viel. Der Präsident konnte stets darauf verweisen, dass das alte Parlament ihn behinderte. Das geht jetzt nicht mehr. Nach der Wahl ist vor dem Regieren. Der 41-jährige Staatschef steht vor schwierigen Monaten.

Wofür steht Selenski?

Selenskis Erfolg hat bisher darauf beruht, allen alles in Aussicht zu stellen. Wie ein guter Komiker eben verbreitete er gute Laune – aber so richtig erinnern, wofür er steht, blieb schwierig. So wurde der Präsident zur perfekten Projektionsfläche: Im Osten des Landes wählten sie ihn, weil sie ihn für prorussisch halten, im Westen gaben ihm viele die Stimme, weil sie ihn für proeuropäisch halten. Wirtschaftsliberale unterstützten ihn, weil er einige Reformer im Team hat – viele andere Leute hoffen, dass er den Sozialstaat ausbauen wird.

Doch wenn die neue Regierung erstmal steht – ob mit oder ohne Koalitionspartner, werden Entscheide fallen müssen. Kompromisse machen gegenüber Russland? Wie weiter mit den Renten? Was für ein Status soll die russische Sprache bekommen? Jeder Entscheid wird einen Teil von Selenskis Wählern unglücklich machen.

Altbekanntes Muster in der Ukraine

Aufstieg und Fall von Hoffnungsträgern liegen in der Ukraine nah beieinander. Selenskis Vorgänger Petro Poroschenko ist es ebenso ergangen. Oder auch Wiktor Juschtschenko, der nach der Orangenen Revolution 2004 an die Macht kam.

Gut ist dieser ewige Zyklus von Hoffnung und Enttäuschung nicht für das Land. Alle paar Jahre von vorne anzufangen, alles über den Haufen zu werfen und das ganze Personal auszuwechseln – das hemmt die Entwicklung.

Eine Wählerin in Kiew sagte es am Sonntag so: «Eigentlich bin ich gegen Selenski, aber der Ukraine zuliebe wünsche ich mir, dass er Erfolg hat.»

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