Normalerweise wirkt ein Parteitag inspirierend, im Bestfall euphorisierend. Die Mannschaft wird eingeschworen, der Richtungskampf ausgetragen und befriedet, ein gemeinsames Ziel definiert und damit die Grundlage geschaffen für kommende Wahlkämpfe. Bloss: Digital ist das alles etwas schwierig, wie beim Parteitag der SPD zu beobachten war.
Die Partei steckt seit langem konstant im Umfragetief fest. Rund 15 Prozent, mehr scheint nicht mehr drin zu sein. Und so klangen die hoffnungsvollen Worte des Generalsekretärs Lars Klingbeil wie eine letzte Mahnung: «Heute ist Tag eins unserer Aufholjagd!» Wenn nicht jetzt, dann wohl gar nicht mehr.
Voraussetzungen sind schlecht
Es geht um viel in diesem Wahlkampf. Die Bundestagswahl Ende September markiert das Ende der Ära Merkel – eine Zäsur. Wer wird die Führung dieses mächtigen Landes, nach lähmenden Jahren unter einer grossen Koalition, in Zukunft übernehmen? Die Voraussetzungen für die SPD sind dabei denkbar schlecht.
Die Sozialdemokraten sind Teil der Regierung, und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz der Vizekanzler und Finanzminister. Mit dafür verantwortlich, wie Deutschland zurzeit dasteht: herunter gespart, digital abgehängt, und in Sachen Energiewende längst nicht mehr Pionier wie vor wenigen Jahren.
Jung, dynamisch, weiblich – das Gegenteil von Scholz
Die SPD-Ministerinnen machten in der Regierung nicht den schlechtesten Job – böse Zungen behaupten gar, sie hätten im Gegensatz zur Union tatsächlich gearbeitet. Und doch gelang es ihnen nicht, dies der Bevölkerung klarzumachen und daraus Kapital zu schlagen. Dabei ist das Wählerinnen-Potential, das zeigen wissenschaftliche Analysen, anhaltend gross.
Doch im selben Teich fischen auch die Grünen. Und diese erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit, erst recht seit der Nominierung ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Jung, dynamisch, weiblich – kurz: das Gegenteil von Olaf Scholz. Die beiden Parteien Mitte-links graben sich gegenseitig das Wasser ab, statt der erklärten Konkurrentin, der konservativen Union.
Selbst die eigene Partei wollte ihn nicht
Scholz fällt es zudem schwer, sich mit seiner blassen, etwas arrogant wirkenden Art von Armin Laschet, dem Kandidaten der CDU, charismatisch abzuheben. Selbst die eigene Partei wollte ihn vor gut einem Jahr nicht als Chef, wählte stattdessen mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ein Duo aus der zweiten Reihe. Für Scholz eine Demütigung.
Dennoch stehen die Sozialdemokraten nun geschlossen hinter Scholz als ihrem Kanzlerkandidaten und scheinen den Wahlkampf ganz auf ihn als Person auszurichten. Denn er bringt mit, was Annalena Baerbock fehlt: breite Regierungserfahrung. Wem die Grünen zu revolutionär erscheinen mögen, dem bietet Scholz eine berechenbare Alternative jenseits der CDU.
Es braucht ein Momentum
Wirklich begeistern kann Scholz nicht. In seiner Rede am Parteitag wirkte er fast verloren auf der grossen Bühne im digitalen, leeren Raum. Doch seine Inhalte, die Versprechen des SPD-Regierungsprogramms, sind konkret. Und, anders als in vergangenen Jahren, wieder klassisch sozialdemokratisch: Ein höherer Mindestlohn, gerechtere Steuern, mehr bezahlbarer Wohnraum.
Damit sind Olaf Scholz und seine SPD alles andere als chancenlos. Was es bräuchte, um den nötigen Schwung für die Wahl zu finden, wäre ein Momentum. Woher dies allerdings kommen soll, ist im Moment nicht abzusehen.