Darum geht es: Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist verschwunden. Seit zwei Wochen fehlt von ihm jede Spur. Gestern ist er erneut nicht zu einer Gerichtsverhandlung erschienen. Bestätigt haben die russischen Behörden bisher nur, dass der berühmteste Oppositionspolitiker, der seit 2021 in Haft sitzt, in eine andere Haftanstalt verlegt wurde.
Warum weiss man nichts über seinen genauen Aufenthaltsort? Das sei nichts Aussergewöhnliches, sagt Markus Ackeret, Korrespondent der NZZ in Moskau. «Diese sogenannte Etappierung, also die Verlegung von einem Straflager in ein nächstes, ist eine geheime Sache aus Sicht der russischen Strafvollzugsbehörden.» Niemand werde darüber informiert, auch seine Angehörigen und Rechtsvertreter nicht. Dies werde erst bekannt gegeben, wenn er an seinem Zielort angekommen sei. «Aber das kann unter Umständen Wochen oder Monate dauern, selbst wenn der Ort, an den er hinkommt, gar nicht so weit entfernt ist.»
Warum dauert eine Verlegung so lange? Das sei ein kompliziertes logistisches System mit der Bahn, zum Teil auch mit Flugzeugen, so Ackeret. «Die Verlegung ist Teil der Bestrafung». Man zeige dem Gefangenen so seine absolute Ohnmacht. «Er ist ihnen voll und ganz ausgeliefert, weiss selber nicht, wohin es geht, und das ist Teil der Erniedrigung.» Logistisch werde es von Russland immer als notwendig begründet, so Ackeret. Nachvollziehbar sei dies nicht, denn man könnte die Verlegung auch einfacher regeln.
Werden dabei Menschenrechte verletzt? Von Gefangenenerzählungen weiss man, dass sie unter sehr schlechten Bedingungen transportiert werden. «Sie können sich nicht richtig waschen, kriegen wenig zu essen, dürfen nur ganz selten auf die Toilette», sagt Ackeret. Dies könne den Gesundheitszustand angreifen. «Das Risiko von Unfällen oder sogar bewusst herbeigeführten Unfällen ist gross.» Es könne zu Provokationen von anderen Gefangenen oder vom Gefängnispersonal kommen.
Welche Haftbedingungen dürften Nawalny am neuen Ort erwarten? Der Oppositionsführer wird in ein Straflager mit einem verschärften Haftregime verlegt. Dieses nennt sich das besondere Regime, zuvor war Nawalny im harten Regime. «Das besondere Regime zeichnet sich dadurch aus, dass die Gefangenen in kleinen Einheiten untergebracht sind. Tagsüber dürfen sie sich nicht hinlegen, auch richtige Hofgänge sind nicht erlaubt», sagt Ackeret. Bei Nawalny habe aber das Haftregime noch nie mit dem übereingestimmt, was offiziell angesagt war. Schon zuvor hat er Spezialbedingungen gehabt, die härter waren als für normale Gefangene.
Was bezwecken die Behörden mit den verschärften Haftbedingungen?
Einerseits gehe es um die Zermürbung, anderseits versuche Russland ihn weiter von der Aussenwelt zu isolieren, so Ackeret. «Das war eines der Hauptziele seiner Verurteilung 2021. Das ist aus Sicht der Behörden nicht so ganz gelungen.» In den letzten Jahren drangen immer wieder über seine Anwälte Aufrufe von ihm nach aussen. Diese würden es jetzt noch schwerer haben, zu ihm durchzukommen, sagt Ackeret. «Das erschwert seine Kommunikation mit der Aussenwelt und dadurch auch seine Präsenz im öffentlichen und politischen Raum in Russland und letztlich auch in der Welt.»