Champigny-sur-Marne, rund 16 Kilometer südöstlich von Paris an einer Schleife des Flusses Marne gelegen, hat rund 78'000 Einwohner – und 160 Polizisten. Doch in der Nacht auf Sonntag müssen sich die zwei diensthabenden Beamten, die für eine Zigarettenpause vor dem Kommissariat standen, sehr allein vorgekommen sein.
Kurz vor Mitternacht ging ein Höllenspektakel los. Der Polizeiposten, untergebracht in einem hässlichen Block mitten in einer Cité, einem Sozialwohnungsviertel, geriet unter heftigen Beschuss mit Feuerwerkskörpern. Gut 40 Vermummte zielten mit Böllern und Pétanque-Kugeln auf den Polizeiposten, schlugen auf parkierte Polizeiwagen ein und schlugen die Eingangstür mit Eisenstangen kaputt.
Offenbar wollten sie mit den Polizisten abrechnen, weil tags zuvor ein Scooter-Fahrer auf der Flucht vor einer Polizeikontrolle verletzt wurde. Eine Stunde lang tobten sich die Angreifer aus, bis Verstärkung aus umliegenden Gemeinden anrückte.
«Territorial-Krieg»
Noch in der Nacht eilten Innenminister Gérald Darmanin und Polizeipräfekt Didier Lallement nach Champigny. «Es ist ein Territorial-Krieg auf dem Boden der Republik im Gang», erklärte Darmanin. Tatsächlich hat die Republik lange zugesehen, wie organisierte Dealer-Banden ganze Stadtteile in rechtsfreie Gebiete verwandelten.
«Wir sind an der Rückeroberung, und das stört offenbar die kleinen Caïds, die Bandenchefs.» Man werde sie aber nicht gewinnen lassen, versprach Innenminister Darmanin. Seine Ankündigung, ein eigentlich bereits bestehendes Verkaufsverbot für Feuerwerk zu verfügen, wirkte allerdings ziemlich rat- und hilflos.
Hass auf Polizisten
Die Polizisten sehen sich tagtäglich Jugendlichen gegenüber, die ihnen ans Leder wollen. Der Hass auf die «flics» steigt und steigt. Die Polizisten in Frankreich sind allerdings auch keine Chorknaben. Brachiale Gewalt gegen Demonstranten, rassistische Kontrollen, ruppige Verhaftungen haben ihren Ruf nachhaltig ruiniert.
Die Polizei ist in Frankreich für viele nicht Freund und Helfer, sondern Handlanger eines ohnehin verhassten Staatsapparats. «In den Vororten hat jeder einen grossen Bruder, der schon mal hart angefasst wurde, der kleine Bruder kultiviert dann diesen Hass», sagt Polizei-Experte Frédéric Ploquin.
Die Polizisten sind es leid, Zielscheiben zu sein und verlangen Verbesserungen ihrer widrigen Arbeitsbedingungen, eine höhere Entlöhnung, eine bessere Vorbereitung auf den Polizeialltag, auf die Misere in schwierigen Quartieren. «Es ist paradox. Es ist eine Konfrontation von Polizisten an der Front, die sich von ihren Chefs und dem Staatspräsidenten alleingelassen fühlen, und von Jungen, die erklären, dass sie vom selben Staat verlassen wurden.»
Flächenbrand befürchtet
Die beiden Beamten von Champigny-sur-Marne konnten sich in letzter Sekunde ins Innere des Polizeipostens retten und blieben unverletzt. Was aber, wenn es die Jugendlichen ins Gebäude geschafft hätten?
«Die Polizisten sind bewaffnet. Sie hätten sich bedroht gefühlt und sich verteidigt», ist sich Ploquin sicher. «Das ist es, was alle fürchten: ein Polizist, der in Notwehr reagiert, mit seiner Dienstwaffe einen Jungen verletzt oder gar tötet. Das gäbe einen Flächenbrand.»