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Proteste gegen Lukaschenko Europarlament verleiht Sacharow-Preis an Opposition in Belarus

  • Der renommierte Sacharow-Menschenrechtspreis des Europaparlaments geht in diesem Jahr an die Opposition in Belarus.
  • Die Vertreter der Opposition verkörperten tagtäglich den Kampf für Menschenrechte und Meinungsfreiheit, sagte EU-Parlamentspräsident David Sassoli bei der Bekanntgabe im Plenum in Brüssel. Sie alle seien stark angesichts eines sehr mächtigen Gegners.
  • Das EU-Parlament ist die erste Institution, die die Proteste auf internationaler Ebene mit einer Auszeichnung würdigt.
  • Die belarussische Demokratiebewegung hat sich dankbar gezeigt für den Sacharow-Menschenrechtspreis.

Mit dem Preis wolle man den Menschen das Zeichen geben, weiterhin stark zu sein. «Verzichten Sie nicht auf Ihren Kampf», sagte Sassoli. Die Auszeichnung richte sich konkret an die demokratische Opposition in Belarus – vertreten durch den Koordinierungsrat, politische Aktivistinnen, wie Swetlana Tichanowskaja und Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, wie die politisch engagierte Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, erklärte das Europaparlament.

Die Demokratiebewegung zeigt sich dankbar. Die Auszeichnung gehöre allen Menschen in Belarus, «die unseren gemeinsamen, friedlichen Kampf fortsetzen», teilte das Team von Tichanowskaja mit.

Tichanowskaja als Anführerin der Demokratiebewegung

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Tichanowskaja bei einem Besuch in Berlin im Oktober 2020.
Legende: Keystone

Seit der Präsidentenwahl am 9. August gibt es in Belarus regelmässig Proteste. Die frühere Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja gilt als Anführerin der Demokratiebewegung. Die 38-Jährige hatte überraschend eine Zulassung zur Präsidentenwahl erhalten, nachdem Machthaber Alexander Lukaschenko ihren Ehemann im Gefängnis hatte einsperren lassen.

Mit Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo schloss sie sich zu einem kämpferischen Trio zusammen. Sie hatten bei ihren Auftritten im Strassenwahlkampf grossen Zulauf – trotz massiver Behinderung durch die Behörden.

Die Frauen-Troika wurde schnell zum Symbol des Widerstands gegen Lukaschenko. Der 66-Jährige liess sich dann nach 26 Jahren an der Macht zum sechsten Mal in Folge zum Präsidenten ausrufen – mit mehr als 80 Prozent der Stimmen. Tichanowskaja wurde zur Ausreise in das EU-Nachbarland Litauen gezwungen. Dort hatte sie aus Angst um die Familie ihre Kinder im Wahlkampf in Sicherheit bringen lassen.

Auch Zepkalo ging ins Ausland, über Wochen führte Kolesnikowa die Massenproteste gegen Lukaschenko an. Nach ihrer Entführung durch den Geheimdienst KGB und der gescheiterten Abschiebung in die Ukraine landete die Oppositionsführerin im Gefängnis – wie viele ihrer Mitstreiter. Seither ist Tichanowskaja die führende Stimme im Exil gegen Lukaschenko.

Die 38-Jährige hielt sich am Donnerstag zu politischen Gesprächen in Dänemark auf. Sie hatte Machthaber Alexander Lukaschenko mit einem Generalstreik im ganzen Land gedroht. In ihrem Ultimatum an ihn fordert sie seinen Rücktritt bis zum 25. Oktober, die Freilassung aller politischen Gefangenen und eine Neuwahl. Experten halten Tichanowskajas Forderungen jedoch für «zahnlos», weil sie sich selbst im Ausland aufhalte.

Beispielgebende Werte der EU

Die EU-Parlamentarier gratulierten zu der Auszeichnung. Der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster sagte, die Zivilcourage der Belarussinen und Belarussen als auch der friedliche und gewaltfreie Protest seien beispielgebend für die Werte der EU. David McAllister sagte, das Europäische Parlament zeige mit der Auszeichnung uneingeschränkte Unterstützung im Kampf für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in Belarus.

Der Preis selbst wird am 16. Dezember im Rahmen einer Zeremonie im Plenarsaal des Parlaments verliehen. Der Sacharow-Preis wird seit 1988 vom Europäischen Parlament an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen.

«Der Preis dürfte Lukaschenko nicht wirklich beeindrucken»

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Der Preis sei von wichtiger Symbolkraft, so SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky. Die Situation in Belarus nachhaltig beeinflussen werde er jedoch kaum. Alexander Lukaschenko habe sich in der Vergangenheit von politischen Schritten seitens der EU nicht beeindrucken lassen, deshalb werde er dies kaum durch einen mehrheitlich symbolischen Preis geschehen lassen, so Tschirky.

Lukaschenko befinde sich jedoch in einer schwierigen Situation. Dass er überhaupt noch an der Macht ist, verdanke er seinen Sicherheitskräften und der Unterstützung durch Moskau.

Neben der belarussischen Opposition waren auch die ermordete honduranische Aktivistin Berta Cáceres und weitere Umweltaktivisten sowie der Erzbischof der nordirakischen Stadt Mossul, Nadschib Michail Musa, in der engeren Auswahl für die Auszeichnung. Im vergangenen Jahr ging der Menschenrechtspreis an den chinesisch-uigurischen Wirtschaftswissenschaftler und Regierungskritiker Ilham Tohti.

SRF 4 News, 22.10.2020, 13:00 Uhr ; 

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