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Israel: Widerstand gegen umstrittene Justizreform wächst weiter
Aus Rendez-vous vom 20.02.2023. Bild: REUTERS/Amir Cohen
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Proteste in Jerusalem Israels Regierung treibt Justizreform trotz Protesten voran

  • Das israelische Parlament hat trotz massivem Widerstand der umstrittenen Überarbeitung des Justizsystems in erster Lesung zugestimmt.
  • Ministerpräsident Benjamin Netanjahu konnte zwei Reformen durchbringen, mit der die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs eingeschränkt werden.
  • Die Opposition im Parlament kündigte weitere Schritte an, abermals gingen Tausende auf die Strasse.

Nach Beratungen bis spät in die Nacht auf Dienstag hat das israelische Parlament trotz Massenprotesten den Weg für eine umstrittene Überarbeitung des Justizsystems von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu frei gemacht.

«Netanjahu treibt Keil durch Israel»

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Die Leiterin der Auslandsredaktion von Radio SRF und frühere Nahostkorrespondentin Susanne Brunner sagt dazu: «Für die Gegnerschaft der Reform ist dieses Gesetz der Anfang vom Ende der Demokratie.» Ob es wirklich so schlimm komme, werde sich zeigen. Die Reform müsste noch die zweite und die dritte Lesung im Parlament durchlaufen und allenfalls das höchste Gericht überstehen. Für Brunner ist jedoch klar: «Netanjahu treibt einen Keil mitten durch sein Land.»

Zwei Reformen konnte Netanjahu mit seiner absoluten Mehrheit von 64 der 120 Sitze in der Knesset durchsetzen: Eine stärkt den Einfluss der Regierung bei der Auswahl der Richter, die andere schränkt die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs ein, Gesetze zu kippen. Die Änderungen seien dazu gedacht, die Einmischung eines nicht repräsentativen Obersten Gerichtshofs in die Politik zu beenden, erklärte die Regierung. Damit haben die Pläne der Regierung die erste Hürde genommen.

Eine Reform für Netanjahu?

Ungeachtet massiver Proteste treibt Israels rechts-religiöse Regierung ihr Vorhaben zur Schwächung des Justizsystems weiter voran. Ziel der umstrittenen Vorlage ist es, dem Parlament zu ermöglichen, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen ausserdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten.

Was kritisiert die Opposition an der Reform?

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Einer der beanstandeten Punkte im neuen Gesetz ist die sogenannte Überwindungsklausel: Eine Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten im Parlament könnte nach Inkrafttreten der Reform ein Gesetz verabschieden, auch wenn es nach Ansicht des höchsten Gerichts gegen das Grundgesetz verstösst.

«Damit würde dem Obersten Gerichtshof das faktische Vetorecht im Namen des Minderheitenschutzes entzogen», sagt Gisela Dachs, freie Nahost-Korrespondentin. Weiter will Justizminister Levin die Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern ändern. Es sollen zwei öffentliche Vertreter vom Justizminister ernannt werden, zwei von der Anwaltskammer.

Weil Israel keine schriftliche Verfassung hat und der Staat stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen fusst, kommt dem höchsten Gericht allerdings besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Staatspräsident Izchak Herzog warnte vor einem verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch Israels, falls die Regierung ihre Pläne kompromisslos und gegen alle Widerstände durchsetzen sollte.

Die Vorlage ist so umstritten, dass auch der frühere Ministerpräsident Jair Lapid der Regierung vorwirft, sie wolle die demokratischen Strukturen in Israel zerschlagen.

Kritiker sagen, der wegen Bestechung angeklagte Netanjahu strebe Gesetzesänderungen an, die Israels demokratische Kontrollen und Gleichgewichte beeinträchtigen, die Korruption fördern und zu diplomatischer Isolation führen würden.

Die Opposition im Parlament kündigte an, «für die Seele der Nation zu kämpfen», Zehntausende gingen am Abend gegen die Reformen auf die Strasse. Umfragen hatten ergeben, dass die meisten Israelis eine Verlangsamung der Reformen wünschen, um einen Dialog mit Kritikern zu ermöglichen – oder keine Reformen wollen.

Eine Menschenmenge mit vielen Israel-Flaggen und einem grossen Transparent im Hintergrund mit der Aufschrift «Crime».
Legende: Menschen demonstrieren vor dem israelischen Parlament in Jerusalem, während die Gesetzgeber über einen Teil des umstrittenen Justizplans abstimmen. Reuters/Ronen Zvulun

Netanjahu teilte mit, die Proteste würden «die Demokratie mit Füssen treten». Er betonte: «Israel ist eine Demokratie und wird eine Demokratie bleiben, in der die Mehrheit regiert und die bürgerlichen Freiheiten angemessen geschützt sind.»

Dass das nicht stimme, würden bereits die ersten beiden Gesetzesänderungen der Justizreform zeigen, über die die Knesset abgestimmt hat. Davon ist SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner überzeugt. «Demokratie nach westlichem Verständnis ist nicht einfach eine Mehrheit, die macht, was sie will. Es gibt Gewaltentrennung, es gibt Sicherungen, damit sich niemand eine totale Macht aneignen kann und damit Minderheiten geschützt sind.» So fürchte sich die Opposition auch vor weiteren Gesetzesänderungen, die folgen könnten.

Netanjahu im Würgegriff seiner Koalition

Unter diesen Umständen sei auch ein Kompromiss kaum realistisch, meint Brunner. Denn: «Netanjahu steht wegen Korruption vor Gericht und müsste im schlimmsten Fall ins Gefängnis, wenn er verurteilt würde. Das will er wortwörtlich um jeden Preis verhindern.»

Das habe auch damit zu tun, dass Netanjahus Parlamentsmehrheit auf der Zusammenarbeit mit Kleinparteien fusst, die ihn im totalen Würgegriff haben. «Sie geben ihm die Mehrheit, solange Netanjahu ihre Forderungen durchsetzt. Und unter solchen Umständen sind kaum echte Kompromisse möglich.»

UNO-Sicherheitsrat verurteilt jüdische Siedlungen im Jordanland

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Im seit Dezember amtierenden Kabinett unter Netanjahu fordern religiöse Fundamentalisten und Nationalisten eine Ausweitung des israelischen Territoriums ins Westjordanland. Nun hat der UNO-Sicherheitsrat die nachträgliche Genehmigung jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland durch die israelische Regierung verurteilt. «Der Sicherheitsrat bekräftigt, dass die anhaltenden israelischen Siedlungsaktivitäten die Durchführbarkeit der Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Linien von 1967 in gefährlicher Weise bedrohen», heisst es in einer am Montag einstimmig verabschiedeten Erklärung der 15 Mitglieder des einflussreichsten Gremiums der Vereinten Nationen, darunter aktuell auch die Schweiz. «Der Sicherheitsrat bringt seine tiefe Besorgnis und Bestürzung über die Ankündigung Israels vom 12. Februar zum Ausdruck.»

Wissenschaft warnt

Angesichts der Instabilität des Reformstreits haben viele Wirtschaftswissenschaftlerinnen und führende Vertreter der Hightech-Branche und des Bankensektors vor einer Flucht von Investoren und Kapital aus Israel gewarnt.

«Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Justizreformen und einem Schlag für Israels Wirtschaft», wies der Vorsitzende des Finanzausschusses der Knesset, Moshe Gafni, die Warnung zurück. Jeder Versuch einer Verknüpfung sei politisch motiviert.

Rendez-vous, 20.02.2023, 12:30 Uhr;

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