Aus «humanitären Gründen» will der Kreml grosszügig russische Pässe verteilen. Bewohner der ostukrainischen Separatistengebiete sollen ohne grosse Umstände russische Bürger werden dürfen.
Doch mit Menschlichkeit hat der Entscheid wenig zu tun – mit Machtpolitik dagegen sehr viel. Erst am Sonntag nämlich hat die Ukraine einen neuen Präsidenten gewählt. Wolodimir Selenski versprach im Wahlkampf, sich um die Probleme der Menschen in der Region zu kümmern. Auch mit Russland, so schien es, wollte Selenski einen Ausgleich finden.
Pässe, dann Panzer
Eine solche Annäherung aber dürfte es vorerst nicht geben. Ganz offenbar ist Putin gar nicht daran interessiert. Denn mit den Pässen für Donezk provoziert der Kreml – und heizt den Konflikt weiter an.
Die Aktion zementiert Russlands Anspruch auf die besetzten Teile der Ostukraine. Bereits in anderen Ländern ist Moskau so verfahren: im georgischen Südossetien zum Beispiel wurden erst viele Bürger mit russischen Pässen ausgestattet – dann fuhren russische Panzer auf. Ein ähnliches Szenario befürchten die Ukrainer nun in der Ostukraine.
Dass Kiew die Gebiete um Donezk je wieder kontrollieren wird, ist damit unwahrscheinlich geworden – was übrigens ein grober Verstoss ist gegen den Geist der Waffenstillstandsvereinbarungen von Minsk ist.
Kritische Antwort aus Kiew
Für Wolodimir Selenski muss das ein böses Erwachen sein. Seine Rhetorik gegenüber dem Kreml jedenfalls hat er bereits jäh geändert. In einer Mitteilung gestern bezeichnete er Russland als Aggressor-Land und forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Druck zu erhöhen – bis hin zu neuen Sanktionen. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Der russische Nachbar zwingt ihm die Logik der Eskalation auf.