Russland baut seinen Einfluss im Konfliktgebiet in der Ostukraine aus – und dies wenige Tage nach der Wahl eines neuen Präsidenten in der Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnete ein Dekret, wonach die Menschen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten einfacher russische Pässe erhalten sollen.
Rasch Russen werden
Menschen mit ständigem Wohnsitz in «einzelnen Kreisen» der Gebiete von Donezk und Luhansk können demnach in einem «vereinfachten Verfahren» russische Staatsbürger werden. Der Kreml sprach von einer schnellen Prüfung der Unterlagen innerhalb von drei Monaten. In beiden seit Jahrhunderten russisch geprägten Regionen leben mehr als 3,5 Millionen Menschen.
Der scheidende ukrainische Präsident Petro Poroschenko warf Moskau vor, den Friedensprozess damit zu torpedieren. «Es geht faktisch um die Vorbereitung des Kremls zum nächsten Punkt der Aggression gegen unseren Staat: die Annexion des ukrainischen Donbass oder die Schaffung einer russischen Enklave in der Ukraine.»
Die EU wirft Russland vor, sie heize damit den Ukraine-Konflikt wieder an. Das Dekret zur erleichterten Passvergabe sei ein «weiterer Angriff auf die Souveränität der Ukraine», sagte eine Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel.
Das Team des künftigen Präsidenten Wolodimir Selenski kritisierte den Kreml ebenfalls: «Diese Handlung ist eine weitere offensichtliche Bestätigung für die Weltgemeinschaft der wahren Rolle Russlands als Aggressorstaat, der einen Krieg gegen die Ukraine führt.»
Russische Sprache verbannen
Derweil hat das ukrainische Parlament eine umstrittene Gesetzesänderung klar angenommen, welche die russische Sprache aus dem Alltag verdrängen will. Nach einer Übergangszeit muss es künftig für alle Zeitungen, Zeitschriften sowie Internetseiten von Medien und Unternehmen zwingend eine ukrainische Version geben. Noch nicht geklärt ist, wie sich die Regelung auf das Fernsehen auswirkt.
Russisch ist in der Ukraine stark verbreitet: Für knapp ein Drittel der Ukrainerinnen und Ukrainer ist es die Muttersprache. Heute erscheinen etwa 70 Prozent der Zeitungen in der Ukraine auf Russisch.
Altbekanntes Vorgehen Putins
In Kiew befürchtet man dadurch ein Einfrieren des Konflikts ähnlich wie im moldauischen Transnistrien. In dem 1990 von Moldau abgespaltenen Gebiet hat der Grossteil der Einwohner ebenfalls die russische Staatsbürgerschaft.
Bei einer Eskalation des Konflikts könnte der Kreml gemäss seiner Doktrin direkt die russische Armee unter dem Vorwand des Schutzes der eigenen Staatsbürger einsetzen – ähnlich wie im georgischen Südossetien im August 2008.
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hatte noch wenige Stunden vor Putins Bekanntgabe an das Team um Selenski appelliert, das Minsker Friedensabkommen einzuhalten. Die Ausgabe russischer Pässe ist allerdings nicht Teil der Vereinbarung. In dem Abkommen geht es um eine Wiedereingliederung in die Ukraine.