Zum Inhalt springen

Reaktion auf den Ukraine-Krieg Die EU bewegt sich doch

Das informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im französischen Versailles endete so, dass alle Teilnehmenden darin einen Erfolg sehen können.

Weitere Sanktionen gegen Russland wurden noch keine beschlossen, aber die Warnung ausgesprochen, dass ein viertes Paket folgen wird. Alle EU-Staaten können damit leben, insbesondere die baltischen Staaten, die vehement einen Gas-Boykott forderten.

Konsens über Verteidigungsbudgets

Die Reduktion der Abhängigkeit vieler EU-Staaten von Gas, Öl und Kohlelieferungen aus Russland ist politisch im Konsens eine beschlossene Sache. Jedes Land kann seinen eigenen Ausstiegsplan beschliessen. Verbindlich ist nichts. Dazu können sich auch die grossen Länder Deutschland und Italien bekennen.

Und es besteht nunmehr ein breiter Konsens unter den EU-Staaten, dass jedes Land seine Verteidigungsbudgets aufstocken muss. Sogar das neutrale Schweden, nicht Mitglied des Verteidigungsbündnisses Nato, wagt eine Kehrtwende und macht das Versprechen glaubwürdiger denn je.

Einziger konkreter Beschluss: Der EU-Aussenbeauftragte verspricht, die Ukraine mit weiteren 500 Millionen Euro zu unterstützen für Waffenkäufe. Die EU doppelt nach. Ein wichtiges Zeichen an die Ukraine.

Mittelweg der EU

Mehr konnten und wollten die EU-Staats- und Regierungschefinnen nicht versprechen. Es wird keine beschleunigten Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine geben, welche der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sich so sehr wünschte. Auch nicht mit Georgien und Moldawien.

Die EU habe damit einen Mittelweg gefunden, erläuterte der luxemburgische Premier Xavier Bettel. Das beschreibt die EU präzise. Wenn 27 unterschiedliche nationale Interessen am Tisch sitzen, ist ein Mittelweg häufig der einzig gangbare Weg, Fortschritte zu erzielen.

In diesem Sinn kann der Gastgeber, der französische Präsident Emmanuel Macron, zufrieden sein. Er hat seine Aufgabe erfüllt, sicherzustellen, dass die EU in diesen turbulenten Kriegszeiten mehr oder weniger Geschlossenheit zeigen kann.

Teure Beschlüsse müssen folgen

Das ist allerdings nicht ausreichend. Denn die EU muss auch sicherstellen, dass sie politisch glaubwürdig bleibt. Darum sind die kommenden Wochen eine besondere Herausforderung, insbesondere für die EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen.

Ihre Behörde muss aus den vollmundigen politischen Versprechen, die in prunkvollen Sälen im Schloss von Versailles gemacht wurden, realistische Umsetzungspläne machen, die einen hohen Preis haben. Das gilt vor allem für die Vorgaben, bereits in fünf Jahren unabhängig zu sein von russischen Gaslieferungen. Ob das gelingt, ist eine Frage des Geldes.

Die EU-Kommission muss nun rechnen. Nicht nur Frankreich und Italien kalkulieren, dass am Ende dieser Rechnung sich bei der Mehrheit der EU-Staaten die Einsicht durchsetzen wird, dass diese Investitionen nur mit neuen Eurobonds zu finanzieren sind.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

SRF 4 News, 11.03.2022, 17.00 Uhr

Meistgelesene Artikel