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Recherche der «New York Times» Trumps Steuererklärung aufgetaucht: Grandioses Leak mit Folgen?

Gesehen hat Donald Trumps Steuererklärungen der Jahre 2000 bis 2017 bisher niemand ausser der «New York Times». Das Medienhaus schützt damit seine Quelle. Diese habe rechtlich Zugang zu den Papieren gehabt, heisst es bloss. Verifizierbar sind die Recherchen der«New York Times» also nicht. Deshalb konnte Präsident Trump gestern die Enthüllungen als «Fakenews» erst mal beiseite wischen.

Und trotzdem hat das Leak Sprengpotenzial. Am Dienstag findet die erste Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten Trump und Joe Biden statt. Für Trump stellt die Debatte eine Chance dar, das Ruder herumzureissen, denn er hinkt in Umfragen hinter Biden her. Doch die Publikation seiner Steuererklärungen gibt Biden nun scharfe Munition.

Sinnbild der Ungleichheit in den USA

Im tiefsten Krisenjahr seit der Grossen Depression in den 1930er-Jahren müssen viele Amerikanerinnen und Amerikaner die Dollars zusammenkratzen, um die Steuern zu bezahlen. Doch der milliardenschwere Präsident bezahlte jahrelang keine oder fast keine Einkommenssteuern auf Bundesebene, laut «New York Times».

Trump nahm Hunderte von Millionen Dollar ein, aber drückte zugleich sein steuerbares Einkommen, indem er Verluste aus seinen rund 500 Unternehmenseinheiten abschrieb. Die Trumpsche Steuer-Alchemie als Sinnbild der Ungleichheit in den USA – ein wahres Geschenk für die Demokraten und Joe Biden.

Neu ist die Vermutung nicht, dass der Präsident ein Steuer-Jongleur ist. Er selber gab es während des Wahlkampfs vor vier Jahren zu. «Weil ich schlau bin», trumpfte er auf. Doch nun liegen Zahlen auf dem Tisch. Zahlen, die zudem vermuten lassen, dass das Unternehmensimperium des Präsidenten auf wackligen Füssen steht.

Die ausgewiesenen Verluste sind, immer laut «New York Times», schwindelerregend. Hinzu kommt ein persönlicher Schuldenberg von über 400 Millionen Dollar. Davon sollen 300 Millionen Dollar in den kommenden vier Jahren fällig werden.

Weiteres Ungemach naht

Die Enthüllungen der «New York Times» können dem Image von Präsident Trump in einem empfindlichen Moment schaden – einen guten Monat vor den Präsidentschaftswahlen. Im vermutlich äusserst knappen Rennen spielt es eine Rolle, wer ein paar tausend Wähler oder Wählerinnen hier und dort gewinnen oder auch nur entmutigen kann, zur Urne zu gehen.

Und jenseits des Wahlkampfgetöses, jenseits seiner Präsidentschaft, braut sich für Donald Trump ein anderes Unwetter zusammen. Die Steuerunterlagen sind nämlich das fehlende Puzzleteil für die strafrechtlichen Ermittlungen der New Yorker Staatsanwaltschaft.

Diese ist bereits im Besitz der Finanzunterlagen von Trumps Buchhaltungsfirma sowie seiner Kreditgeberin, der Deutschen Bank. Erhalten die Ermittler nun Zugang zu den Steuerunterlagen können sie die Dokumente vergleichen und allfällige Unstimmigkeiten für eine Anklage benützen.

Kein Wunder hat Präsident Trump juristisch alles unternommen, um eine Aushändigung seiner Finanzpapiere zu vermeiden. Doch ein Leak konnte er letzten Endes nicht verhindern.

Isabelle Jacobi

USA-Korrespondentin, SRF

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Nach dem Studium in den USA und in Bern arbeitete Jacobi von 1999 bis 2005 bei Radio SRF. Danach war sie in New York als freie Journalistin tätig. 2008 kehrte sie zu SRF zurück, als Produzentin beim Echo der Zeit, und wurde 2012 Redaktionsleiterin. Seit Sommer 2017 ist Jacobi USA-Korrespondentin in Washington.

Echo der Zeit, 28.09.2020, 18 Uhr

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