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Rechtsextreme Polizeibeamte Korrespondentin: «Seehofer sieht kein strukturelles Problem»

Der Bericht zum Rechtsextremismus in der deutschen Polizei lässt viele Fragen offen. Erste Reaktionen fallen scharf aus.

Wie anfällig sind deutsche Sicherheitsbehörden für rechtsextremistisches Gedankengut? Dies untersuchte der Verfassungsschutz im Auftrag von Innenminister Horst Seehofer. Der Bericht lasse noch viel offen und beinhalte unter anderem den jüngst aufgeflogenen Nazi-Chat im nordrhein-westfälischen Polizeikorps nicht, sagte SRF-Korrespondentin Bettina Ramseier in Berlin.

Bettina Ramseier

Deutschland-Korrespondentin, SRF

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Bettina Ramseier ist SRF-Korrespondentin in Berlin. Sie ist seit 15 Jahren TV-Journalistin: Zuerst bei TeleZüri, danach als Wirtschaftsredaktorin bei SRF für «ECO», die «Tagesschau» und «10vor10».

SRF News: Gibt der Rechtsextremismus-Bericht zur deutschen Polizei Anlass zur Sorge?

Bettina Ramseier: Gemäss Innenminister Horst Seehofer nicht. Es gehe um etwa 380 Fälle, in denen Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden nachgewiesen wurde. Dazu kommen etwas über tausend Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Seehofer bewertet das ausdrücklich nicht als strukturelles Problem in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern.

Wie wurde das Problem untersucht?

Im Beobachtungszeitraum von Anfang 2017 bis März 2020 wurden die eingeleiteten Dienstverfahren gezählt. Also nur die aufgeflogenen Fälle. Es ist also keine wissenschaftliche Untersuchung zu möglichen rechtsextremen Einstellungen von Polizeiangehörigen. Die jüngsten Fälle in Nordrhein-Westfalen sind nicht dabei, ebenso andere Fälle in Hessen und in Berlin, wo rechtsextreme Inhalte in Chat-Gruppen geteilt wurden. Da scheint es eine Häufung zu geben in den letzten Wochen und Monaten. Von Beobachtern wird auch kritisiert, dass sich einige Bundesländer nicht oder nur unzureichend am Bericht beteiligt hätten und dass diese Daten gar nicht valide wären.

Was passiert mit den Erkenntnissen aus dem Bericht des Verfassungsschutzes?

Vorerst wurde ja nur gezählt. Nun soll analysiert werden, ob es Verbindungen zwischen den Fällen und Netzwerke gibt. Auch die Frage nach allfälligen Gesetzesänderungen soll gestellt werden, und ob sich die Behörden besser untereinander austauschen können. Diesbezüglich hat Seehofer erhebliche Defizite eingeräumt.

Seehofer will jetzt eine gesamtgesellschaftliche Untersuchung zu Rechtsextremismus durchführen. Das Problem dürfe nicht auf die Sicherheitsbehörden beschränkt werden. Wenngleich er auch zugeben muss, dass Rechtsextremismus in diesen Berufsgruppen wegen des Gewaltmonopols besonders heikel ist. Seehofer bleibt sich aber heute treu und sieht kein strukturelles Problem und will keine wissenschaftliche Untersuchung dazu.

Wie sind die ersten Reaktionen auf diesen Bericht?

Vor allem in den sozialen Medien wird das Thema bereits heiss diskutiert. Oppositionspolitiker haben sich zum Teil vehement zu Wort gemeldet. Linke und Grüne glauben sehr wohl, dass es ein strukturelles Problem gibt. Sie kritisieren, dass es keine wissenschaftliche Untersuchung sei und alles auf Selbstdeklaration beruhe. Das sehen auch einzelne SPD-Politiker so. Gegen eine wissenschaftliche Untersuchung wehrt sich Seehofer seit Monaten. Da ist viel politischer Zündstoff drin.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 06.10.2020, 12:30 Uhr ; 

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