«Das Flugzeug geriet arg in Schieflage, als es in den Sinkflug ging. In der Tiefe hatte das Mittelmeer der öden Weite der nordafrikanischen Wüste Platz gemacht. Rauchsäulen ragten am Horizont in den Himmel. Die Insassen des kleinen Privatjets waren mit versteinerten Mienen auf ihren Sitzen festgezurrt, und es drehte ihnen fast den Magen um, als das Flugzeug sich in engen Kurven vom Himmel schraubte.
Das war kein normaler Business-Trip, auch nicht für Ian Taylor. In vier Jahrzehnten Öl-Handel hatte er sich schon in viele Hotspots manövriert, von Teheran bis Caracas. Aber diese Reise mit Ziel Bengasi, Libyen – inmitten eines Bürgerkriegs – war eine neue Erfahrung.»
Das ist der Einstieg ins Buch «The World for Sale», das die Bedeutung und Macht der Rohstoff-Giganten neu ausleuchtet. Denn ob Metall im Smartphone, die Baumwolle fürs T-Shirt oder das Gas für die Heizung: Wir sind tagtäglich auf Rohstoffe angewiesen. Die Händler dieser Rohstoffe reden nicht gern über ihr Geschäft, aber es geht um hunderte Milliarden.
Abgespielt hat sich die eingangs geschilderte dramatische Flugzeug-Szene 2011. Passagier im Flugzeug war Ian Taylor, der Chef von «Vitol», dem grössten Erdölhändler der Welt. Ziel dieses riskanten Unterfangens war ein Öl-Deal mit den Rebellen, die damals gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi kämpften.
«Die Rebellen brauchten Diesel, damit sie weiterkämpfen konnten. Taylor wollte es ihnen liefern, gab ihnen gar einen Kredit von einer Milliarde Dollar. Diesen sollten sie ihm mit Öllieferungen aus den Quellen rund um Bengasi zurückzahlen», erzählt Javier Blas. Zusammen mit seinem Kollegen Jack Farchy hat er diese Geschichte für das Buch «The World for Sale» recherchiert.
Diese Vermischung von Öl und Politik beschreibt für Javier Blas sehr gut, wie Rohstoffhändler nachhaltig Einfluss auf die Weltpolitik nehmen.
Blas ist seit rund 20 Jahren Experte für Rohstoffe. Zusammen mit seinem Kollegen Jack Farchy führte er für das Buch viele Gespräche mit Rohstoffhändlern. «Ich kenne sie, und sie kennen mich», sagt Blas im Gespräch mit SRF. Und auch wenn die Branche als sehr verschwiegen gilt, hätten die meisten geredet. «Ein hartes Stück Arbeit», grinst der Autor. Einige hätten ihm auch nahegelegt, das Buch nicht zu veröffentlichen.
Korruption ist weit verbreitet
Die Händler geben im Buch erstaunlich offen Auskunft, auch über heikle Themen wie Korruption: «Torbjörn Törnqvist, der Chef des Ölhändlers Gunvor, hat erklärt, dass die Branche wohl noch einige Leichen im Keller habe.»
Blas und Farchy schreiben auch immer wieder über Händler oder Mittelsmänner, die mit Koffern voll Bargeld unterwegs waren für sogenannte «Kommissionen». «Vor 40 Jahren war Bestechung eine weitere Art Geschäftsausgabe», erklärt Javier Blas. «In der Schweiz konnte man solche Kommissionen auch von den Steuern abziehen.» Was als üblich galt, war aber nicht immer legal. So sah sich auch Gunvor jüngst wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert.
Die Schweiz als Drehscheibe
Viele Rohstoff-Konzerne haben ihre Zentrale oder wichtige Niederlassungen in der Schweiz. Das überrascht nicht. Das Land sei politisch neutral und steuerlich attraktiv, bestätigt Blas. Er kritisiert aber, dass die Schweiz die Regulierung solcher Konzerne lange Zeit verschlafen habe. «Es ist ein sehr wichtiges Geschäftsfeld. Aber damit verbunden ist auch die Verpflichtung, die Branchenvertreter bei Verfehlungen zur Rechenschaft zu ziehen.»
Zwar gehe man mittlerweile rechtlich gegen Bestechung vor: «Aber Bussen von ein paar Millionen Franken sind im Milliardengeschäft um Rohstoffe schlicht Peanuts.»
Die Wende zu mehr Transparenz im Rohstoffgeschäft kam 2011: Glencore ging an die Börse. Bis dahin gehörte der mächtigste Rohstoff-Konzern der Welt seinen Händlern. Nur drei Personen wussten, wer wie viele Aktien besass. «Darüber zu reden, war tabu», sagt Javier Blas. Durch den Börsengang wurden die Besitzverhältnisse plötzlich publik. Quasi über Nacht wurden etliche Händler zu Millionären und gar Milliardären.
Der stille Teilhaber von Glencore war der Pharmakonzern Roche.
Den Schritt an die Öffentlichkeit gemacht hatte Glencore, weil der Konzern wachsen wollte und dafür frisches Geld brauchte. Die geplanten Käufe und den Unterhalt von Minen konnten die Glencore-Händler nicht mehr selbst finanzieren.
Und bisher hatte erst ein branchenfremder Investor Anteile von Glencore gekauft, hat Javier Blas recherchiert: «Der stille Teilhaber mit einem Aktienanteil von 20 Prozent war bis um die Jahrhundertwende der Basler Pharmakonzern Roche.» Roche hatte damals durch den Verkauf von Valium viel Bargeld angehäuft und suchte eine Investitionsmöglichkeit. Glencore wollte sich von Marc Rich loskaufen und brauchte dafür viel Geld. «Der Deal passte», sagt Blas.
Public Eye begleitet die Rohstoffbranche seit Jahren sehr kritisch. 2011 veröffentlichte das Schweizer NGO ebenfalls ein Rohstoff-Buch, das die Geschäfte der Branche etwas ausleuchten sollte. Für das neue Buch der Wirtschafts-Journalisten findet Sprecher Oliver Classen lobende Worte: «Erfrischend ist vor allem die historische Einbettung der Aktivitäten der Branche.
Ich hätte mir gewünscht, dass sie auch die Situation in den Produktionsländern näher beleuchten.
Sie zeige die Relevanz dieser Branche. «Die Autoren haben Zugang zu den Köpfen der Branche wie kaum jemand sonst.» Das untermauere ihre Expertise. Allerdings sind für Classen die Protagonisten und deren Arbeit zu wenig kritisch beleuchtet. «Und ich hätte mir gewünscht, dass sie auch die Situation in den Produktionsländern näher beleuchten, und nicht nur das Geschäftsmodell der Rohstoffhändler skizzieren.»
Überrascht hat den Fachmann von Public Eye, dass einige Händler im Buch offen Korruption zugeben. Das sei nach wie vor ein grosses Problem in der Branche. Und die Schweiz – da ist er sich mit Blas einig – stehe da in der Verantwortung. Fälle von Korruption würden vornehmlich in den USA aufgedeckt, nicht in der Schweiz.
Die Rohstoffbranche bleibt künftig weiter im Rampenlicht – nicht nur wegen illegaler Finanzierungen, auch wegen des grossen CO2-Fussabdrucks. Dieser verteuert wichtige Bank-Kredite zur Absicherung von Geschäften. Die Konzerne geloben denn auch, die CO2-Emissionen schnell senken zu wollen.
Da setzen sie auch auf die Karte, dass sie wichtige Rohstoffe für den technologischen Wandel liefern würden; Kupfer, Kobalt oder Nickel für Windturbinen oder Batterien. Die Konzerne müssen nun beweisen, dass sie ihre Versprechen auch tatsächlich einhalten.