Kunden für russisches Erdöl gibt es reichlich. Seit Europa als direkter Absatzmarkt ausfällt, springen China, Indien, die Türkei und viele andere gewichtige Volkswirtschaften in die Bresche und kaufen kräftig ein – zu Dumpingpreisen.
Als Drehscheibe dienen unter anderen die arabischen Golfstaaten, sagt in einem Video des «Wall Street Journal» Viktor Katona von der Firma Kpler, die sich mit Daten und Analysen zu den Energiemärkten befasst: «Beim russischen Öl hat Dubai Genf als Haupthandelsstandort ersetzt.»
Im Nahen Osten, aber auch in Ostasien, in der Türkei und anderswo wird zudem russisches Öl raffiniert. Die Endprodukte, deren russischer Ursprung nicht mehr zu erkennen ist, finden dann den Weg überallhin – auch in den Westen.
Russland verkauft weiterhin Öl in die ganze Welt
Anfänglich ein Problem war der Transport von Putins Erdöl. Seriöse Reedereien zogen sich zurück, da sie wegen der westlichen Sanktionen Schiffe fürs Russlandgeschäft nicht mehr versichern konnten. Deshalb baute Moskau eine riesige Schattenflotte auf.
Elisabeth Braw von der US-Denkfabrik Atlantic Council befasst sich mit dieser Flotte und sagt: «Wie gross sie ist, wissen wir nicht. Es handelt sich ja um Schiffe, die nicht korrekt registriert sind. Die meisten waren mal registriert und sind dann sozusagen abgetaucht.»
Schätzungen reichen von 400 bis 1500 Schiffen. Tendenz: wachsend. Die allermeisten dürften für Russland unterwegs sein, einige auch für Nordkorea oder Iran.
In Schiffsregistern wie jenem von Lloyd's sind sie nicht verzeichnet und werden deshalb auch Geisterschiffe genannt. Sie operieren unter Flaggen von Ländern, die nicht genau hinschauen und keinen Ruf als Schifffahrtsnationen zu verlieren haben. Etwa Gabun: «Das ist momentan die Lieblingsnation für solche Tanker. Beliebt ist auch der afrikanische Binnenstaat Eswatini, das frühere Swaziland.»
Niemand kontrolliert diese Schiffe. Der Wartungszustand ist unklar. Besitzer sind nicht bekannte Reedereien, sondern verschachtelte, dubiose Konstrukte.
Die Nato weiss den Druck vonseiten Greenpeace zu schätzen
Elisabeth Braw spricht sarkastisch von einem Ruhestandsprojekt für abgetakelte, rostige, teils nur bedingt seetüchtige Tanker. Regelmässig schalten sie ihre Transponder aus, damit sie nicht geortet werden können. Selbst bei der Fahrt durch schwierige Meerengen, etwa bei Dänemark, verweigern sie Lotsendienste.
Greenpeace macht über die Öffentlichkeit Druck auf Regierungen, entschiedener gegen die Schattenflotte einzuschreiten.
Entsprechend gross ist das Risiko von Zusammenstössen oder dass sie auf Grund laufen und eine Ölpest verursachen. Heikel ist auch, dass oft auf hoher See Öl von Schiff zu Schiff umgeladen wird – um Spuren zu verwischen.
Elisabeth Braw: «Genau aus diesem Grund setzt sich nun auch Greenpeace gegen diese Flotte ein.» Sie sieht die Schattenflotte als «ernsthafte Bedrohung der Meere und Küsten» und bezeichnet sie als «ganz üble Sache».
Aus ideologischen Gründen liegt eine formelle Partnerschaft zwischen der Nato und Greenpeace gewiss nicht auf der Hand. «De facto ziehen sie hier aber am selben Strick», sagt Elisabeth Braw. «Das Engagement von Greenpeace ist hilfreich. Die Organisation macht über die Öffentlichkeit Druck auf Regierungen, entschiedener gegen die Schattenflotte einzuschreiten.»
Die maritime Weltordnung basiert darauf, dass sich alle freiwillig an Regeln halten. Das funktionierte schon bisher nur bedingt. Die russische Schattenflotte höhlt das Regelwerk nun noch weiter aus.