Zum Inhalt springen

Russische Talkshows Talkmaster Solowjow: der finstere Diener seines Herrn

Der Kreml sagt, er wolle die Ukraine «entnazifizieren». Das ist absurd. Doch in Russland sieht man das anders. Auch wegen Talkmaster Solowjow.

Dramatische Musik ertönt, der schwarz gekleidete Moderator betritt die Bühne. Der Sermon beginnt, zuerst einschmeichelnd, dann hasserfüllt und zynisch. Willkommen in der Welt von Wladimir Solowjow. Er deckt das Publikum mit den Botschaften ein, die der Kreml platziert haben will, meist überzeichnet und emotional verstärkt. Das tönt in letzter Zeit so: «Es ist klar, dass wir jetzt de facto mit den Nato-Ländern Krieg führen. Wir werden die Kriegsmaschinerie der Nato zermalmen, und auch die Bürger der Länder, die zur Nato gehören. Gnade wird es keine geben.»

Solowjows Gäste stehen ihm in nichts nach, übertreffen ihn sogar, wie etwa ein Politologe, der Europa – und insbesondere Warschau – mit einem Atomschlag drohte, sollte die Nato sich in der Ukraine einmischen.  

«Dritter Weltkrieg» und «Atomschlag»

Margarita Simonjan, die Chefin des staatlichen Auslandssenders RT, ist Dauergast bei Solowjow. Sie spricht in letzter Zeit vermehrt von einem dritten Weltkrieg oder einem Atomschlag. Die ukrainische Führung ist laut ihr «ein Geschwür, das man entfernen müsse, weil es sonst Europa befalle». 

Tamina Kutscher ist Chefredaktorin bei Dekoder, einer deutschen Plattform, die unabhängige russische Medien übersetzt und einordnet. Für sie ist klar: Die russischen Talkshows haben in den letzten Jahren dem Krieg den Boden bereitet: «Das Thema dieser Talkshows war meistens die Ukraine, die liberale russische Opposition und der Westen – alle als Feindbild.»  

Dekoder über Solowjow

Die Funktion dieser Sendungen bestehe darin, einzupeitschen, emotional zu verstärken. Parallel mit der Eskalation der Gewalt gegen die Ukraine habe sich auch die Rhetorik in den Talkshows verschärft, gegen aussen, mit der Entmenschlichung des Gegners, wie auch gegen innen, gegen imaginäre innere Feinde, so Tamina Kutscher. 

Porträt Wladimir Solowjow
Legende: Der Journalist Wladimir Solowjow bei einem Interview mit Putin 2015. imago images

Und wie ernst muss man das Gerede über einen Atomkrieg nehmen? Expertin Kutscher meint, die Entscheidung über einen solchen Atomschlag werde im Kreml und nicht in diesen Talkshows getroffen. Aber es gehe darum, eine bestimmte Stimmung zu schaffen, vielleicht auch eine Bereitschaft für einen solchen Atomschlag. 

Waffe im Informationskrieg

Fragt sich auch, ob Solowjow glaubt, was er sagt. Die Expertin geht davon aus, dass der Talkmaster Präsident Putins Weltsicht teilt und sich – wie auch RT-Chefin Simonjan – als Waffe im Informationskrieg versteht. Da macht es auch nichts, wenn Aussagen unlogisch sind. Solowjow werde deshalb auch Chamäleon genannt. «Es ist bei ihm oft so, dass er Widersprüchliches zusammenbringt und alle Register zieht, so wie es ihm gerade passt», sagt Kutscher. 

So war es für Solowjow auch kein Problem, einen rhetorischen Feldzug gegen den Westen zu führen und gleichzeitig zwei Villen am Comersee zu besitzen. Doch seit Beginn des Krieges hat der Talkmaster Reiseverbot in der EU. Seine Villen wurden beschlagnahmt. Das russische Staatsfernsehen aber hat die Kadenz von Solowjows Sendungen erhöht. Der schwarz gekleidete Diener seines Herrn darf nun fast täglich dem Publikum sein propagandistisches Gift einträufeln.

Echo der Zeit, 04.05.2022, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel