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Schwedens Ratspräsidentschaft Mit Stockholm gerät die EU auf dünnes Eis

Auf dem Papier und bei den obligaten Medienbriefings wirkt alles wie gehabt. Schweden, ein verlässlicher Nettozahler der EU, bürgt als Ratspräsident für eine solide und konstruktive Ratspräsidentschaft.

«Der Ministerpräsident und ich sind beides grosse EU-Fans», erklärte Schwedens konservative Europaministerin Jessika Roswall bei der Präsentation der wichtigsten schwedischen Prioritäten für die kommenden sechs Monate: Sicherheit, Klimaschutz und Demokratie. In der Tat keine umstrittenen Anliegen angesichts aktueller Herausforderungen.

Schweden wird zum Stolperstein

Und doch steht Schweden und damit auch Europa vor einem politisch ungewissen Halbjahr. Und das nicht nur wegen des russischen Angriffskrieges gegen das EU-Kandidatenland Ukraine, den zur Erfüllung der globalen Klimaziele erforderlichen Massnahmen und den anhaltenden Flüchtlingswellen aus internationalen Krisengebieten.

Nein, zum ersten Mal seit dem durch das Volk beschlossenen EU-Beitritt in der Mitte der 1990er-Jahre bildet die schwedische Regierung und ihr Programm selbst einen Stolperstein.

Machtdeal mit den Postfaschisten

Erinnern wir uns: Bei den Parlamentswahlen vor drei Monaten holte weder die bisherige sozialdemokratische Regierung noch die bürgerliche Opposition eine Mehrheit im schwedischen Parlament. Stattdessen gingen drei bürgerliche Wahlverlierer mit den postfaschistischen Schwedendemokraten einen politischen Deal ein: Regierungsmacht gegen Regierungsprogramm.

Oder anders ausgedrückt: Die Schwedendemokraten unterstützen eine Minderheitenregierung unter der Führung von Ulf Kristersson gegen das Versprechen, das politische Programm der Schwedendemokraten in weiten Teilen umzusetzen.

Weniger Klimaschutz, höhere Grenzhürden

Und weil die politischen Ziele der Schwedendemokraten mit den gemeinsamen Erfordernissen in der EU wenig Gemeinsamkeiten aufweisen, übernimmt nun ein politisch unerfahrenes Land die Ratspräsidentschaft der Union, dessen heimisches Regierungsprogramm nicht nur auf eine Verwässerung der Klimaziele hinausläuft, sondern Schweden zudem mit verschiedenen – rechtsstaatlich teilweise problematischen – Massnahmen zu einem der wenigst attraktiven Einwanderungsländer Europas machen möchte. 

Im Schwitzkasten Ankaras

Nach über 200 Jahren Neutralitätspolitik, die in den letzten 30 Jahren mit einer aktiven Aussenpolitik im Rahmen der EU kombiniert wurde, steht Schweden zudem im Vorhof der Militärallianz Nato – und wird dort voraussichtlich bis zum Ende des EU-Ratsvorsitzes auch ausharren müssen.

Unterdessen gerät das nordische Land – lange eine starke globale Stimme für Menschenrechte und Demokratie – immer mehr unter Druck des autoritär regierten Nato-Mitgliedes Türkei.

Das Fazit: Die Voraussetzungen für eine solide, berechenbare und konstruktive EU-Ratspräsidentschaft waren gerade im Falle Schwedens auch schon günstiger.   

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Korrespondent

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

Rendez-vous, 29.12.2022, 12:30 Uhr

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