Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Schwere Wirtschaftskrise Neue Protestwelle im Iran: «Die Menschen verspüren Aufwind»

Seit vergangenem Sonntag gehen die Menschen im Iran wieder auf die Strasse. Grund ist eine schwere Wirtschaftskrise im Land. Hunderte Ladenbesitzer haben aus Protest ihre Geschäfte geschlossen. Wie gross die neue Protestwelle ist und was der Auslöser war, weiss Rosa Lyon. Sie leitet das ORF-Auslandsbüro für die Türkei und den Iran.

Rosa Lyon

Leiterin ORF-Büro für Türkei und Iran

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Rosa Lyon ist studierte Ökonomin und Reporterin des ORF. Seit dem 1. Juli 2025 leitet sie das ORF-Büro in Istanbul mit Nebenstelle in Teheran. Bereits zuvor reiste sie in den Nahen Osten und berichtete aus Afghanistan, Pakistan und Syrien.

SRF News: Wie gross sind die neuen Proteste?

Rosa Lyon: Das ist schwer zu sagen. Im Internet kursieren viele Handyvideos, auf denen grosse Menschenmengen zu sehen sind. In Basaren, in Einkaufszentren, auf den Strassen. Auch Auseinandersetzungen mit der Polizei sind zu sehen. Die Bilder kommen nicht nur aus Teheran, sondern auch aus der Mitte des Iran, aus der Stadt Isfahan, aus Shiraz im Süden und aus Maschad im Nordosten.

Was vielen nicht klar ist, ist, wie stark die iranische Wirtschaft unter den Sanktionen und den Kriegsfolgen leidet.

Was war genau der Auslöser?

Seit dem Zwölf-Tage-Krieg im Juni ist der Iran wirtschaftlich im freien Fall. Seit vergangenem Sonntag wird protestiert, weil die iranische Währung Rial stark gefallen ist. Allein von Sonntag auf Montag um mehr als sieben Prozent. Der Handel auf den wichtigsten Märkten der iranischen Hauptstadt Teheran ist zum Erliegen gekommen.

Diese Proteste werden sich wiederholen, aber sie werden nicht eskalieren, denn dazu sind sie nicht gross genug.

Vielen ist nicht klar, wie stark die iranische Wirtschaft unter den Sanktionen und den Kriegsfolgen leidet. Als 2015 die internationalen Sanktionen im Gegenzug für strenge Kontrollen aufgehoben wurden, betrug der Rial/Dollarkurs 32'000 Rial. Am Montag betrug er noch 1.38 Millionen Rial.

Haben die Proteste aus Ihrer Sicht das Potenzial, sich noch weiter auszuweiten?

Ihre Frage: Könnten diese Proteste tatsächlich der Anfang vom Ende des Regimes sein? Eher nicht, sagte mir der politische Analyst und Publizist Nader Karimi. Er ist sich sicher: Diese Proteste werden sich wiederholen, aber sie werden nicht eskalieren, denn dazu sind sie nicht gross genug. Die Gruppen seien nicht organisiert und es gebe keine Führung.

Menschenmenge und Fahrzeuge auf einer stark befahrenen Brücke.
Legende: Noch gibt es wenige Bilder von den Protesten aus dem Iran. Hier ein Protestzug in der iranischen Hauptstadt Teheran. (29.12.2025) Keystone/STRINGER

Alle Menschen im Iran, die sich andere Machtverhältnisse wünschen, verspüren jetzt Aufwind. Die Wut, die sich öffentlich zeigt, gibt die Stimmung im Iran zumindest der meisten Menschen gut wieder. Aber die eiserne Faust des iranischen Regimes ist nicht zu unterschätzen.

In welchem Klima entstehen die Proteste?

Box aufklappen Box zuklappen
Menschen fotografieren sich vor weihnachtlich dekoriertem Schaufenster.
Legende: Vor allem in iranischen Städten getrauen sich immer mehr junge Frauen ohne Kopftuch auf die Strassen. Reuters/ . Majid Asgaripour

Seit dem zwölftägigen Krieg mit Israel und den USA habe sich im Iran viel verändert und es gebe zwei Bewegungen, sagt Rosa Lyon. «Auf der einen Seite sind die protestierenden Frauen, die sich gegen den Kopftuchzwang durchgesetzt haben.» Gut die Hälfte der Frauen würden im Iran kein Kopftuch mehr tragen. Vor allem immer mehr jüngere Frauen. «Das wird derzeit vom Regime zugelassen. Keine Frau muss derzeit eine Strafe befürchten oder sich vor der Moralpolizei fürchten.»

Andererseits würde die Regierung enorm hart gegen alle vorgehen, die irgendeine Opposition darstellen könnten. «Dazu zählt die zweite iranische Friedensnobel­preisträgerin Narges Mohamed, die seit Wochen hinter Gittern sitzt. Auch gab es noch nie so viele Exekutionen wie in den vergangenen Monaten.»

Diesmal haben Ladenbesitzer zu den Protesten aufgerufen. Inwiefern hat das einen Einfluss auf die Dynamik?

Es geht um ein anderes Thema. Daher demonstrieren zumindest an vorderster Front Geschäftsleute und Händler. Die westlichen Sanktionen treffen die meisten von ihnen und eben nicht jene, die es treffen sollte. Eine dünne obere Schicht verdient durch Korruption und Schattenwirtschaft dank der Sanktionen.

Viele Lebensmittel verzeichnen in den vergangenen Monaten dreistellige Inflationsraten.

Für den Grossteil der Menschen im Iran sind Fleisch und Milch unerschwinglich geworden, nicht nur wegen der Sanktionen. Wir sprechen von einem Land, das sehr reich war und sehr reich sein könnte. Doch viele Lebensmittel verzeichnen in den vergangenen Monaten dreistellige Inflationsraten. Das durchschnittliche Gehalt liegt bei knapp 100 Dollar und damit weit unter der Armutsgrenze. Ein kleiner Einkauf kostet schon 35 Dollar.

Drei Männer an einem Obst- und Gemüsestand auf einem Markt.
Legende: Bei der neuen Prostestwelle im Iran sind es Ladenbesitzer, die zu den Demonstrationen aufgerufen haben. Sie haben genug von der Wirtschaftskrise. Keystone/ ABEDIN TAHERKENAREH

Wie reagieren die Behörden auf die Proteste?

Mit grossen Polizeieinsätzen und Tränengas. Es gibt ein ikonisches Bild: Ein junger Mann sitzt ganz allein in der Mitte einer Strasse am Boden; ihm gegenüber ist eine grosse Menge an Polizisten auf Motorrädern und von der Seite wird Tränengas geschossen.

Nebst dem harten Vorgehen der Polizei ist zudem der Zentralbankchef des Iran laut dem Staatsfernsehen zurückgetreten. Das war erwartet worden. Dieser Schritt tut den Protesten keinen Abbruch. Das Tränengas schon.

Das Gespräch führte Tobias Bühlmann.

Irans Präsident Peseschkian ruft zu Dialog auf

Box aufklappen Box zuklappen

Irans Präsident Massud Peseschkian hat auf die Proteste im Iran mit einem Appell zum Dialog reagiert. «Ich habe den Innenminister angewiesen, mit Vertretern der Protestbewegung zu sprechen und ihre Forderungen zu berücksichtigen», schrieb er in der Nacht zum Dienstag auf der Plattform X. 

Die Sicherung der Lebensgrundlage für die Bevölkerung sei ein zentrales Anliegen und stehe täglich auf seiner persönlichen Agenda, schrieb er weiter. Daher wolle er Reformen des Geld- und Bankensystems vorantreiben sowie Massnahmen zum Erhalt der Kaufkraft einleiten.

SRF 4 News, 30.12.2025, 9 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel