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Schwuler Soldat «Wer den Dienst verweigert, schwächt Israel und stärkt die Hamas»

Die Zahl der Dienstverweigerer in Israel steigt, aber sie sind nach wie vor eine Minderheit. Die meisten rücken ein. Selbst solche, welche wenig am Hut haben, mit der rechtsradikalen, religiösen Ausrichtung der Regierung. Ein schwuler Soldat erklärt seinen Einsatz.

Der schwarzhaarige Mann in einem Café in Tel Aviv ist etwas über 30 und redet offen über seine Homosexualität. Aufgewachsen in einem konservativen Vorort Tel Avivs, wo seine sexuelle Orientierung tabu war, zog er als junger Mann in die liberale israelische Metropole, bekannt für ihre Schwulenszene.

Wenn wir zu wenig Soldaten haben, bringen wir die Hamas nie dazu aufzugeben und den Krieg zu beenden.
Autor: «G» Sanitätssoldat in der israelischen Armee

Dort hat der ausgebildete Sanitäter seit dem Hamas-Angriff auf Israel vor bald zwei Jahren allerdings nicht viel Zeit verbracht, weil er fast ein Jahr lang Kriegsdienst geleistet hat. Und weil er jederzeit wieder eingezogen werden kann für den Gazakrieg, nennt er sich nur «G».

Dienstverweigerung – kein Thema für «G»

«Ich war mit meinem Freund in Lissabon, als die Alarm-App auf unseren Handys losging, und schon kam der Anruf meines Kommandanten: Ich müsse sofort einrücken.» Das war nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023. «Wir flogen am nächsten Tag zurück nach Israel, und ich begab mich zu meiner Einheit.»

Menschen vor Stacheldrahtzaun. Sie tragen Plakate.
Legende: Wer den Dienst verweigert, macht sich in Israel strafbar. Angehörige eines Dienstverweigerers protestieren vor einem Gefängnis, wo der Mann einsitzt. (Mai 2025) Keystone/AP Photo/Mahmoud Illean

Die Offiziere hätten schon am ersten Tag gesagt, der Einsatz werde lange dauern, erzählt der Militärsanitäter weiter. Nach mehr als 300 Tagen im Krieg wäre er froh, wenn er nicht nochmal eingezogen würde. Den Dienst verweigern würde «G» aber nie, obwohl die Kritik am Krieg und an der rechtsradikalen, religiösen Regierung in seinem Umfeld zunimmt.

Dienstverweigerung in Israel: strafbar und tabu

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Um Gaza-Stadt einzunehmen, braucht die israelische Armee Zehntausende von zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten. Die Aufgebote hat sie vor einigen Wochen verschickt, und der Anteil Soldaten im Aktivdienst – 130'000 Frauen und Männer – erreicht damit einen Höchststand seit Beginn des Gazakrieges vor bald zwei Jahren.

Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele Israeli den Militärdienst verweigern. Die Aufrufe dazu seien aber lauter geworden, erzählt Auslandredaktorin Susanne Brunner, die vor kurzem in Israel war. Dies, obwohl Dienstverweigerung mit Gefängnis bestraft werde – ebenso die Diskussion darüber. Besonders in liberalen, eher linken Kreisen spalte die Frage Familien, Paare, Freunde. Umfragen zeigten schon seit längerem, dass sich der grösste Teil der israelischen Bevölkerung ein Ende des Krieges wünscht.

«Meine Eltern und mein Freund sagen, ich solle doch den Dienst verweigern. Vielleicht. Aber ich kämpfe ja nicht für den Premierminister. Wer den Dienst verweigert, schwächt die Armee und stärkt die Hamas», ist der Soldat überzeugt. «Wenn wir zu wenig Soldaten haben, bringen wir die Hamas nie dazu aufzugeben und den Krieg zu beenden.»

Ganz auf Regierungslinie

«G» ist von der Notwendigkeit des Krieges im Gazastreifen voll und ganz überzeugt. Die Hamas sei eine grausame Terrorgruppe, die Israel besiegen müsse. «Wenn ich einen Verletzten sehe, behandle ich ihn. Wir geben den Menschen zu essen und zu trinken. Die Hamas aber bunkert Hilfsgüter und lässt die Bevölkerung nicht in ihren Tunneln Schutz vor den Bomben suchen, so wie sie das selbst tun. Die Hamas foutiert sich um die eigene Bevölkerung – warum sollte ich mir dann um diese Sorgen machen?»

Menschen auf der Flucht. Sie tragen Kinder.
Legende: Für die Bevölkerung im Gazastreifen – selbst für die Kinder – empfindet «G» kein Mitleid. Er befürwortet sogar, dass sich die Palästinenserinnen und Palästinenser ein neues Zuhause suchen müssen. Keystone/AP/JEHAD ALSHRAFI

Und die Kinder in Gaza? «Selbst vier- oder fünfjährige Kinder haben sie indoktriniert, damit diese uns töten wollen. Im Krieg sind auch sie unser Feind. Was kann ich dafür?»

Nicht einmal in der sehr rauen, betont maskulinen Welt der Armee ist Schwulsein ein Thema.
Autor: «G» Sanitätssoldat in der israelischen Armee

Was den Krieg betrifft, ist der Militärsanitäter ganz auf Regierungslinie. In anderen Bereichen ist er es gar nicht: Mit der offenen Schwulenfeindlichkeit gewisser Minister hat er Mühe. Aber in der Armee spüre er davon gar nichts.

Militärdienst für alle – Kitt der Gesellschaft

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Für viele Homosexuelle sei die Armee die toleranteste Institution des Landes, erklärt Auslandredaktorin Susanne Brunner: «Während religiöse Kreise gegen Schwule wettern, sind diese in der Armee akzeptiert, da ist der Zusammenhalt gegen den Feind wichtiger.»

Zudem verbinde die Wehrpflicht für Männer sowie Frauen die Gesellschaft – besonders im Krieg: «Wer den Dienst verweigert, lässt seine Freunde im Stich, steht da als jemand, der seine Eltern, seine Familie, sein Land nicht schützen will.» Auch dies mache Dienstverweigerung sehr, sehr schwierig.

«Ich kann offen darüber reden, selbst mit dem Rabbiner. Nicht einmal in der sehr rauen, betont maskulinen Welt der Armee ist Schwulsein ein Thema», sagt «G».

Nach dem Interview holt ihn sein Freund ab – der, der will, dass «G» den Dienst verweigert. Die beiden schlendern davon, ins Nachtleben von Tel Aviv.

Rendezvous, 15.09.2025, 12:30 Uhr

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