Israel macht ernst mit seiner angekündigten Einnahme von Gaza-Stadt. Aus diesem Grund hat die Armee am Montagmorgen die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt offiziell zur Flucht aufgefordert. Die Menschen sollten sich zu ihrer eigenen Sicherheit in den Süden begeben, hiess es in einem in arabischer Sprache veröffentlichten Aufruf.
Israels Armee werde in Gaza-Stadt «mit grosser Intensität vorgehen», um die Hamas zu besiegen, wie sie es bereits im gesamten Küstenstreifen getan habe, teilte das Militär weiter mit.
Unlösbares Dilemma für Menschen in Gaza
SRF-Auslandredaktorin Anna Trechsel, die die Geschehnisse im Nahen Osten beobachtet, spricht von einer neuen Dimension der Offensive des israelischen Militärs in Gaza-Stadt. «Bisher wurden jeweils die Bewohnerinnen und Bewohner einzelner Quartiere oder Quartierteile aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Diesen Aufforderungen sind wahrscheinlich einige Zehntausend nachgekommen. Jetzt ist die ganze Stadt mit fast einer Million Menschen betroffen.»
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Bild 1 von 6. Die israelische Armee will mit grösserer Härte gegen die Hamas vorgehen und hat dazu in Gaza-Stadt auch mit der Sprengung von Hochhäusern begonnen. (8.9.2025). Bildquelle: Keystone/EPA/HAITHAM IMAD.
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Bild 2 von 6. Seit Wochen rechnen die Bewohner von Gaza-Stadt mit einem Grossangriff. (8.9.2025). Bildquelle: REUTERS/Dawoud Abu Alkas.
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Bild 3 von 6. Nun scheint die neue israelische Offensive kurz bevorzustehen. Die Armee hat die Menschen in Gaza dazu aufgerufen, die Stadt zu verlassen. (8.9.2025). Bildquelle: REUTERS/Dawoud Abu Alkas.
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Bild 4 von 6. Bislang sind nur verhältnismässig wenige der rund einer Million Menschen in Gaza-Stadt dem Evakuierungsaufruf gefolgt. (9.9.2025). Bildquelle: REUTERS/Dawoud Abu Alkas.
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Bild 5 von 6. Denn viele Menschen sind schon mehrfach vertrieben worden, haben ihre Existenzgrundlage verloren und leiden Hunger. Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal. (9.9.2025). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Jehad Alshrafi.
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Bild 6 von 6. Die Menschen aus Gaza sollen laut Israel nach Al-Mawasi im Süden des Gazastreifens fliehen. Doch auch dort dürften sie kaum Schutz vor dem Krieg finden. (9.9.2025). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Jehad Alshrafi.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und das israelische Militär wiesen die Bewohnerinnen und Bewohner von Gaza-Stadt an, sich in das südliche Gebiet Al-Mawasi in Chan Yunis zu begeben, das als sogenannte «humanitäre Zone» ausgewiesen wurde.
Israel sagt, dort stünden Unterkünfte, Wasser, Nahrungsmittel und ärztliche Versorgung zur Verfügung. Doch diese Angaben sind anzuzweifeln. «Meines Wissens gibt es in Al-Mawasi weder genug Platz für eine Million weitere Flüchtlinge, noch gibt es Unterkünfte für diese Menschen», so Trechsel.
Andere Orte im Gazastreifen, an denen neue Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden könnten, gibt es ebenfalls kaum. Laut UNO sind im Gazastreifen rund 92 Prozent aller Häuser ganz oder teilweise zerstört worden und etwa 1.4 Millionen Menschen sind bereits heute auf Notunterkünfte angewiesen.
Auslandredaktorin Anna Trechsel steht mit Menschen in Gaza-Stadt in Kontakt. «Die Leute in Gaza stehen vor einem schier unlösbaren Dilemma. Sie haben einerseits Angst davor, in der Stadt zu bleiben und dem israelischen Angriff schutzlos ausgeliefert zu sein. Andererseits glauben sie israelischen Zusicherungen nicht, dass es im Süden sicherer sei», so Trechsel. Denn in der Vergangenheit hatte das israelische Militär auch im Gebiet rund um Chan Yunis mehrfach Angriffe ausgeführt.
Durch neue Offensive viele Opfer befürchtet
Ob und wie rasch es der israelischen Armee gelingt, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen, ist unklar. Armeekreise gehen davon aus, dass das Monate dauern könnte.
«Die israelische Armee wird vermutlich in einen Guerillakampf mit den noch verbliebenen Hamas-Kämpfern verwickelt werden, die sich teilweise in Tunneln verstecken. Das wird für die israelische Armee nicht einfach und könnte auch viele Soldatenleben kosten», erklärt Anna Trechsel.
Es sei zudem nicht realistisch anzunehmen, dass sämtliche Zivilistinnen und Zivilisten aus Gaza-Stadt in den Süden fliehen werden. «Der Eroberungsangriff auf Gaza-Stadt dürfte deswegen auch Zehntausende Einwohnerinnen und Einwohner das Leben kosten.» Hilfsorganisationen warnen bereits vor einer weiteren Verschärfung der ohnehin schon katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung.