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Selenski bei UNO in New York Die Ukraine hat ein Nahost-Problem

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ist in die USA gereist und muss bei der UNO in New York Überzeugungsarbeit leisten wie nie zuvor. Am Mittwochnachmittag spricht er vor der Vollversammlung der 193 UNO-Staaten, am Dienstag war er im Sicherheitsrat, am Montag auf dem Zukunftsgipfel.

Überall zeigt sich: Anders als zu Kriegsbeginn 2022 ist die Ukraine nicht mehr das Topthema der Weltpolitik. Vielmehr steht der Ukraine-Krieg im Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit den Kriegen in Nahost und im Sudan. Obendrein droht die Unterstützung für Selenski in der UNO zu schwinden. Ein Grund dafür sind just die Kämpfe im Gazastreifen und in Libanon.

Sie befeuern in vielen UNO-Staaten nicht nur die Kritik an Israel. In der Kritik stehen auch die USA, weil sie Israel militärisch und diplomatisch zur Seite stehen. Schliesslich färbt die Kritik auf alle ab, die mit den USA verbündet sind – also auch auf die Ukraine.

Weniger Pro-Ukraine-Stimmen in der UNO

Im ersten Kriegsjahr feierte Wolodimir Selenski in der UNO-Vollversammlung noch diplomatische Grosserfolge. Mit Mehrheiten von mehr als 140 Staaten wurde Russland für seinen rechtswidrigen Krieg an den Pranger gestellt.

Doch mittlerweile bemüht sich die Ukraine kaum noch um derartige Abstimmungen. Denn es ist absehbar, wie die Debatten heute, zwei Jahre später, verlaufen würden. Ein Resolutionsentwurf zu den russischen Angriffen auf ukrainische Spitäler würde unweigerlich zu einer Debatte über israelische Angriffe auf Spitäler im Gazastreifen führen.

Den letzten Erfolg in der UNO-Vollversammlung feierte die Ukraine im Juli. Die Resolution, die sie eingebracht hatte, betraf die Sicherheit von Atomkraftwerken im Kriegsgebiet. Die ukrainische Diplomatie hatte das Thema mit Bedacht gewählt, gibt es doch im Gazastreifen keine Atomkraftwerke. Trotzdem kam die Resolution auf nur gerade 99 Stimmen.

Stimmenzahl als Stimmungstest

Es zeigt sich: Der Beistand der USA ist für die Ukraine militärisch überlebenswichtig, diplomatisch aber auch eine Belastung. Zumal die UNO mehr ist als eine Organisation, die Resolutionen und anderes Papier produziert. Die UNO ist ein Abbild der Welt, die Stimmenzahl in der Vollversammlung sagt viel aus über die weltpolitische Befindlichkeit.

Und die könnte eines Tages durchaus bedeutsam sein, sollten sich die Ukraine und Russland zusammen mit Ländern wie Brasilien, China und Indien für Friedensgespräche an einen grossen Verhandlungstisch setzen.

Bald 1000 Tage nach Beginn der russischen Grossoffensive ist nicht nur die militärische Lage der Ukraine prekär, im Zuge der Nahost-Krise hat sich auch ihre diplomatisch-geopolitische Lage messbar verschlechtert.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

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10vor10, 24.09.2024, 21:50 Uhr

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