Anders als die Schweiz kennt Italien keinen verpflichtenden Sexualkundeunterricht – als eines von nur sieben Ländern in Europa. In Italien entscheidet bis jetzt jede Schule für sich, ob sie einen solchen Unterricht anbietet und in welcher Form sie das tut. Die Aufklärungsarbeit hängt somit auch vom Engagement der einzelnen Lehrkräfte ab.
Neuer Gesetzesentwurf
Seit 1975 gibt es in Italien den Versuch, ein Gesetz zur Sexualerziehung in den Schulen zu erlassen, bisher allerdings ohne Erfolg. Nun will die rechtskonservative Regierung von Giorgia Meloni die Situation ändern.
Ein neuer Gesetzesentwurf sieht vor, Sexualkunde in den Oberstufen zu ermöglichen – allerdings erst ab 14 Jahren und nur mit der Einwilligung der Eltern, also nicht verpflichtend. So wolle man die Unschuld der Kinder vor Gender-Ideologie schützen und das Erziehungsrecht der Eltern stärken, heisst es.
Der Staat kann fördern, sensibilisieren, aber er kann die Eltern nicht ersetzen.
Rossano Sasso von der Lega sagte während der emotionalen Diskussion in der Abgeordnetenkammer: «Der Staat kann fördern, sensibilisieren, aber er kann die Eltern nicht ersetzen.»
Familie soll zustimmen
Aufklärung sei vor allem die Aufgabe der Eltern, ergänzte sein Parteikollege Stefano Candiano: «Die Familie ist der erste Ort der Erziehung eines Menschen. Die Erziehung eines Kindes dem Staat anzuvertrauen, ist eine Entscheidung, der man sich sehr bewusst sein muss. Daher scheint es mir absolut notwendig, dass die Familie informiert wird und ihre Zustimmung gibt.»
Die Rechten haben genau das Gegenteil von dem getan, was dieses Land braucht, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen.
Das sei ein Rückschritt und eine verpasste Chance für Prävention, findet die Opposition. «Was die Rechte getan hat, ist sehr schwerwiegend und genau das Gegenteil von dem, was dieses Land braucht, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen und zu verhindern», sagt Elly Schlein, die Chefin des Partito Democratico.
Sexualkunde müsse viel früher beginnen. Sie sei keine Gefahr, sondern ein Schutz, argumentiert die Opposition.
Jungen und Mädchen sind immer noch der Meinung, dass es in Beziehungen um Kontrolle und Besitz gehe.
Auch Psychologenverbände, Lehrergewerkschaften und Frauenorganisationen üben Kritik. Alessia D'Innocenzo ist bei der Frauenrechtsorganisation Differenza Donna für die Ausbildung zuständig und kritisiert, dass das Fehlen eines verpflichtenden Sexualkundeunterrichts Stereotypen, Vorurteile und Gewalt fördere: «Jungen und Mädchen sind immer noch der Meinung, dass es in Beziehungen um Kontrolle und Besitz gehe, das sieht man übrigens auch bei Erwachsenen.»
Man vermittle ihnen bei diesem Thema zu wenig Gleichberechtigung, Respekt und Schutz, ist D'Innocenzo überzeugt. «Es sollte ein garantiertes Recht auf Information geben für alle Schüler und Schülerinnen, um alle Formen von Gewalt zu verhindern.»
Als Nächstes kommt der Gesetzesentwurf nun in den Senat. Auch dort ist eine ähnlich emotionale Debatte zu erwarten.