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Stimmenverluste in Hessen «Die SPD befindet sich im Sog der Abwertung»

Bei den Landtagswahlen in Hessen hat neben der CDU auch die SPD eine herbe Niederlage kassiert; je rund elf Prozentpunkte verlieren beide Parteien. Für die Sozialdemokraten in Hessen ist dies das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Gero Neugebauer ist Politologe und langjähriger Beobachter der SPD. Er empfiehlt der Partei, eine schonungslose Bestandesaufnahme zu machen.

Gero Neugebauer

Politikwissenschaftler

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Gero Neugebauer ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er war bis 2006 Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

SRF News: Was ist der Grund für das schlechte Abschneiden der SPD in Hessen?

Gero Neugebauer: Die SPD ist mit in Haftung genommen worden. Sie befindet sich im Sog der Abwertung der Koalition auf Bundesebene. Aber sie schätzt auch ihre Fähigkeit, die Deutungshoheit über ihre Leistungen in der Koalition zu besitzen, falsch ein. Diese hat sie nicht, weil sich letztendlich alles auf die Kanzlerin konzentriert.

Nicht die Leistungen, sondern die Art und Weise, wie Konflikte ablaufen, entscheiden über das Ansehen der SPD.

Und die SPD täuscht sich über ihre Leistungen im Bundesland Hessen. Sie hat dort zwar die richtigen Themen besetzt, aber die Wähler haben ihr nicht die entsprechenden Kompetenzen dafür zugesprochen. Ein weiterer Grund sind die alten Gesichter. Es ist das dritte Mal, dass derselbe Kandidat (Thorsten Schäfer-Gümbel, Anm. d. Red.) angetreten ist.

Sie sagen, die SPD überschätzt sich. Was meinen Sie damit?

Damit meine ich, dass sie glaubt, sie macht gute Arbeit. Sie macht in der Tat gute Arbeit. Aber diese wird nicht als Arbeit der SPD in der Koalition angesehen, die die SPD von den anderen Parteien abhebt, sondern in den ganzen Unmut über die Leistung der Koalition mit hineingepackt. Nicht die Leistungen, sondern die Art und Weise, wie die Konflikte ablaufen, entscheiden über das Ansehen der SPD. Und da steht die SPD schlecht da.

Wird sich die SPD nun aus der Regierungskoalition zurückziehen?

Nein, gerade weil sie so aufgestellt ist, wie sie es ist, wird sie sich nicht zurückziehen. Sie hat gesagt: «Der Koalitionsvertrag muss nun abgearbeitet werden und dann werden wir Bilanz ziehen.» Nur reicht das nicht mehr. Die SPD gerät unter Druck. Die CDU will ihre Wähler haben, ebenso wie die Grünen.

Die SPD muss sich entscheiden, für welche Gruppen in der Gesellschaft sie Politik machen will.

Der SPD bleibt nur übrig, nach dieser Niederlage eine programmatische Orientierung zu diskutieren, politische und personelle Alternativen vorzustellen, ihre Stammwähler zu pflegen. Das heisst, sie muss sich entscheiden, für welche Gruppen in der Gesellschaft sie Politik machen will. Da gibt es die einen, die keine Probleme mit den Herausforderungen der Globalisierung haben, und die anderen, die sie fürchten. Und die SPD ist letztlich immer eine Partei gewesen, die sich eher um diese zweite Gruppe sorgt. Nun muss sie sich entscheiden, welchen Kurs sie verfolgen will.

Wie geht es jetzt weiter für die SPD nach dieser Niederlage?

Sie muss, so dumm das klingt, in sich gehen. Sie muss sich fragen: «Wo liegen unsere Stärken, was sind unsere Schwächen?» Beim ersten Punkt wird sie Schwierigkeiten haben. Beim zweiten Punkt wird sie eine grosse Liste füllen können. Und dann wird sie eine Bilanz ziehen und sagen müssen: «Was können wir in unserer Verfassung leisten? Was müssen wir langfristig anstreben? Mit welchen Personen gehen wir in diese Wahl? Und wie wird sich die Situation im Parteienwettbewerb angesichts des Drucks von rechts und links entwickeln?» Das sind schwierige Fragen, aber wenn sie nicht beantwortet werden, dann werden die Leute sich fragen: «Wozu brauchen wir die SPD?»

Das Gespräch führte Raphaël Günther.

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