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Streit um Rechtstaatlichkeit Hilfsgelder blockiert: Ungarn und Polen spielen ein Doppelspiel

Im Sommer einigten sich die Staats- und Regierungsspitzen der EU darauf, erstmals EU-Subventionen an die Bedingung zu koppeln, dass zum Beispiel eine unabhängige Justiz, Meinungs- und Medienfreiheit in einem EU-Staat garantiert werden müsse.

Ist diese Auflage nicht erfüllt, kann die EU Kredite kürzen. Im Visier: Die Regierungen von Polen und Ungarn, denen seit Jahren vorgehalten wird, sie würden ihren politischen Einfluss auf eine eigentlich unabhängige Justiz immer mehr ausbauen.

Parlament ist an der Reihe

Der vage ausformulierte Beschluss war Teil eines Kompromisses zum EU-Budget und zum Corona-Hilfsprogramm für die europäische Wirtschaft.

Darauf folgten wochenlange komplizierte Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, Vertretern des europäischen Parlaments und den Botschafterinnen der Mitgliedsstaaten, um aus vagen Beschlüssen des EU-Gipfels präzise Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Das Ergebnis lässt sich sehen und wird von manchen Beobachtern gar als historisch bezeichnet. Beim EU-Budget und Corona-Fonds haben sich eher die Mitgliedsstaaten durchgesetzt, bei der Ausgestaltung, wie künftig rechtsstaatliche Regeln kontrolliert werden, hat das Parlament gepunktet.

Dieser Rechtsstaat-Mechanismus muss nun im EU-Parlament und im Rat der 27 EU-Staaten verabschiedet werden. Eine qualifizierte Mehrheit der EU-Botschafter haben nun bereits zugestimmt. Ungarn und Polen konnten das nicht verhindern. Jetzt muss das Parlament beraten.

Letztes Wort nicht gesprochen

Anders beim Corona-Hilfsprogramm. Da ist Einstimmigkeit unter allen EU-Staaten erforderlich, damit die EU gemeinsame Schulden in der Höhe von 750 Milliarden Euro aufnehmen kann. Diesen Hebel wollen Polen und Ungarn nutzen.

Blockiert wurde nun ein Beschluss auf Ebene der vorberatenden EU-Botschafter, welche die Sitzungen der EU-Minister vorbereiten. Wenn Polen und Ungarn auf dieser Ebene sperren, dann ist das ärgerlich, aber es ist noch nicht so entscheidend.

Nun wird das Dossier unter den Europa-Ministern erneut beraten. Am Donnerstag ist eine Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs angesetzt. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Hoher Preis

Hinter den Kulissen halten viele Beteiligte die Störmanöver aus Warschau und Budapest für stossend. Niemand will aber glauben, dass sie zielführend sein werden. Der Preis wäre für beide Staaten zu hoch. Ungarn und Polen gehören zu den grössten Empfängern von EU-Geldern, vor allem auch für den sensiblen Agrarsektor.

Denkbar ist, dass dieser Machtkampf so enden wird, wie vor einem Jahr in der Klimapolitik. Damals einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU darauf, bis 2050 keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr auszustossen. Der Beschluss wurde einstimmig gefällt. Darin wurde festgehalten, dass Polen den Entscheid nicht mittragen wolle. Polen scherte zwar aus, legte formell aber kein Veto ein.

Ein Doppelspiel

Die EU kennt solche Entscheidungen voller Widersprüche, um handlungsfähig zu bleiben. Denkbar, dass sich dieses Spiel beim Corona-Hilfsfonds nun wiederholt.

Polen und Ungarn haben heute erreicht, was sie anstreben. Sie zeigen ihren Wählerinnen und Wählern Entschlossenheit. Eine stillschweigende Zustimmung zum EU-Budget in ein paar Wochen wird dann einfach verschwiegen. Ein solches Doppelspiel wäre nicht überraschend.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

SRF 4 News, 16.11.2020, 16 Uhr

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