Seit Ausbruch der Pandemie sind die Preise für Lebensmittel in Russland stark gestiegen.«Lebensmittel wie Brot, Sonnenblumenöl oder Milchprodukte sind etwa 15 Prozent teurer geworden. Auch Schokolade ist von der Teuerung betroffen», erzählt Viktoria aus dem südrussischen Rostow am Don.
Die teuren Lebensmittel bedrohen das Machtgefüge im Land.
Ähnliches berichtet Daria aus St. Petersburg. «Eier sind deutlich teurer geworden. Noch im November haben 10 Stück vielleicht 55 Rubel gekostet. Inzwischen muss man mit 65 oder 70 Rubeln rechnen.»
Viele Russen hart getroffen
70 Rubel sind nicht einmal ein Franken. Für Schweizer Verhältnisse wäre das eine unglaublich günstige Packung Eier. Viele Russinnen und Russen aber treffen solche Preise hart. Umfragen zu Folge hat die Hälfte der Familien im Land gerade noch genug Geld, um Essen und Kleider zu kaufen.
Passen Sie auf, dass es nicht wird wie zu Sowjetzeiten.
Wladimir Putin hat das Problem schon im Dezember erkannt. Zucker etwa sei 70 Prozent teurer geworden, Sonnenblumenöl 23 Prozent, empörte er sich an einer Regierungssitzung. Und sagte dann zu seinen Ministern: «Passen Sie auf, dass es nicht wird wie zu Sowjetzeiten. Damals hiess es: In der Sowjetunion gibt es alles – aber es hat nicht genug für alle.» Jetzt sei das Problem, dass die Menschen nicht genug Geld hätten. «Dieser Frage müssen wir uns widmen.»
Unterstützung für Putin schwindet
Putin mit seinem nach wie vor intakten Machtinstinkt weiss: Die Russen mögen ein geduldiges Volk sein, aber wenn es ums Essen geht, verstehen sie keinen Spass. Umfragen bestätigen dies. Nicht einmal mehr ein Drittel will bei der Parlamentswahl vom Herbst die Kreml-Partei «Einiges Russland» wählen. So wenig Unterstützung hatten die Regierenden schon lange nicht mehr.
«Die teuren Lebensmittel bedrohen das Machtgefüge im Land», bestätigt auch der Journalist und Politikbeobachter Andrei Perzev in einem Podcast des Online-Portals Meduza. Stabile Preise, ständig wachsende Löhne – sprich, dass es immer besser werde – seien bisher die Säulen gewesen des Systems Putin. Jetzt aber werde die soziale und wirtschaftliche Lage immer schlechter und schlechter.
Staatlich verordnete Preiskontrolle
Die Regierung versucht Gegensteuer zu geben. So haben sich die grossen Detailhändler verpflichten müssen, die Preise für Zucker und Sonnenblumenöl 3 Monate einzufrieren. Eine staatlich verordnete Preiskontrolle aus dem Werkzeugkasten sozialistischer Politik. Die Wirkung einer solchen Massnahme verpufft, sobald die Frist um ist. Denn die eigentliche Ursache fürs teure Essen liegt in der Geld- und Wirtschaftspolitik des Kremls.
«Der schwache Rubel ist das eigentliche Problem», erklärt der Soziologe und Publizist Konstantin Gaaze. Der Kreml werte jedes Mal, wenn der Ölpreis sinke, den Rubel ab. Für die Regierung lohne sich das, denn die Einnahmen aus dem Ölgeschäft seien in Dollar – und je mehr Rubel man pro Dollar kriege, desto besser. Löhne für Staatsangestellte, Renten etc. müsse der Kreml schliesslich in Rubeln bezahlen.
Wirtschaftspolitik per Wechselkurstrick
Der Staat saniert sich also – ohne, dass er die struktur- und innovationsschwache Wirtschaft reformieren muss. Das ist Wirtschaftspolitik per Wechselkurstrick. Nur: irgendwann ist der Rubel so billig, dass russische Bauern in Nöte kommen. Sie müssen Traktoren, Dünger oder Setzlinge im Ausland teuer einkaufen – und erhöhen deswegen die Preise im Inland.
Oder sie exportieren ihre Produkte gleich lieber für Devisen, was die Teuerung im Inland ebenfalls anheizt. Die Rechnung bezahlen am Ende die russischen Konsumentinnen und Konsumenten.