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Tichanowskaja im SRF-Interview «Die Gewalt von Lukaschenko ist ein Zeichen der Schwäche»

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja führt den Kampf gegen Machthaber Alexander Lukaschenko vom Ausland aus. Sie befindet sich zurzeit in der Selbstisolation in der litauischen Hauptstadt Vilnius, nachdem sie einen Minister getroffen hat, der kurze Zeit darauf positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Im Interview mit SRF News zeigt sie sich besorgt um die Lage in ihrer Heimat, aber auch optimistisch, dass das herrschende Regime irgendwann dem Druck der Proteste nicht mehr standhalten kann.

Swetlana Tichanowskaja

Belarussische Oppositionsführerin

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Die 38-jährige Swetlana Tichanwoskaja musste Belarus wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl im August 2020 verlassen. Ihre Ausreise nach Litauen war nicht freiwillig, sondern sie wurde vom Regime unter Druck gesetzt. Sie versucht nun, aus dem Exil die Demokratiebewegung im Protest gegen das Regime von Alexander Lukaschenko zu unterstützen.

SRF News: Sie sind in Selbstisolation, wie geht es Ihnen?

Swetlana Tichanowskaja: Einerseits geht es mir nicht schlecht. Mein Test auf das Coronavirus war negativ, dennoch bleibe ich zu Hause in Isolation. Wenn Sie mich fragen, wie ich mich fühle, dann geht es mir natürlich nicht sehr gut. Ich mache mir einerseits grosse Sorgen um jeden einzelnen Menschen in Belarus. Aber andererseits habe ich kein Recht darauf, mich zu beschweren und mich schlecht zu fühlen. Ich muss meine ganze Kraft auf den Widerstand gegen das Regime konzentrieren. Die Situation ist nur schwer zu ertragen, da meine Landsleute in Belarus sind – und ich hier in Litauen. Aber so ist es gekommen.

Wenn ich sehe, dass die Leute nicht aufgeben, dann gibt mir das Kraft, um nicht selbst aufzugeben.

Wie schaffen Sie es, dass Sie nicht Kraft und Verstand verlieren?

Swetlana Tichanowskaja: Es gibt mir Kraft, wenn ich sehe, wie die Leute auf der Strasse demonstrieren und wie sie sich gegenseitig unterstützen. Es ist den Belarussinnen und Belarussen zu verdanken, dass ich mich immer wieder darin bestärkt fühle, durchzuhalten. Wenn ich sehe, dass die Leute nicht aufgeben, dann gibt mir das Kraft, um nicht selbst aufzugeben. Solange wir zusammenstehen und es mit vereinten Kräften versuchen, dann halten wir alle gemeinsam durch.

Die Drohungen von Alexander Lukaschenko gegenüber den Demonstranten wurden zuletzt noch härter. Wozu fordern Sie die Leute auf, wenn er noch repressiver werden sollte, je mehr seine Macht bedroht ist?

Alle Drohungen sind wie die ganze Gewalt seitens des Regimes ein Zeichen der Schwäche. Das Regime sieht keinen anderen Ausweg aus dieser tiefen politischen Krise als Repression und Gewalt. Aber das Regime hat begriffen, dass es längst verloren hat. Es klammert sich nur noch an die Macht und sieht, dass wir die Situation mit friedlichen Mitteln lösen wollen. Doch es scheint aus irgendwelchen Gründen dem Regime wichtig zu sein, dass wir auf ihre Gewalt mit Gewalt antworten. Aber so läuft das nicht.

Das Regime hat begriffen, dass es längst verloren hat. Es klammert sich nur noch an die Macht und sieht, dass wir die Situation mit friedlichen Mitteln lösen wollen.

Deswegen flehe ich die Belarussinnen und Belarussen auch an, nicht auf diese Provokationen einzugehen und besonders an den Demonstrationen Schutz zu suchen, denn wir wissen, dass die Polizei mit nicht zu rechtfertigender Gewalt vorgeht. Wann immer möglich sollten die Menschen versuchen, davonzurennen, wenn eine Verhaftung droht. Im Widerstand sollten wir zunehmend stärker auf Methoden der Partisanen setzen.

Was genau meinen Sie mit Methoden von Partisanen?

Damit meine ich Formen des versteckten Protests. Aus den unterschiedlichsten Gründen kann nicht jeder offen auf der Strasse protestieren. Und dafür verurteilen wir unter keinen Umständen jemanden. Unter Methoden von Partisanen verstehe ich zum Beispiel die Verbreitung von Symbolen der Opposition, wie etwa das Aufhängen oder Malen der weiss-rot-weissen Flagge im öffentlichen Raum. Damit zeigt man ebenso, auf wessen Seite man steht. Es sind nicht zuletzt solche unterschwelligen Methoden, welche das Regime aus dem Gleichgewicht werfen. Denn dafür kann man keinen Kastenwagen vorfahren, man kann niemanden verprügeln oder verurteilen dafür. Deswegen ist es sehr effektiv.

Wie gross ist das Risiko, dass die Menschen während der kalten Jahreszeit die Geduld friedlich zu protestieren verlieren – und Lukaschenko dies ausnutzen könnte?

Er muss verstehen, dass die Geduld nicht so schnell enden wird. Der Widerstand wird bis zum Erfolg weitergehen, denn die Menschen in Belarus werden nicht mehr zu dem mentalen Zustand zurückkehren können, welcher vor den Präsidentschaftswahlen im Sommer herrschte. Die Menschen im Land sind sehr einfallsreich. Sie werden andere Wege finden, das Regime weiter zu untergraben. Die Demonstrationen mögen wegen der Kälte im Winter kleiner werden und nach aussen mag sich das Bild des Widerstands verändern. Aber innerlich wird sich an der Proteststimmung bei den Menschen nichts verändern.

Die unmenschlichen Haftbedingungen in den belarussischen Gefängnissen sind bekannt. Wissen Sie, wie es ihrem Mann gesundheitlich geht und können Sie uns etwas dazu sagen?

Was meinen Mann betrifft, so erhalte ich lediglich über seinen Anwalt Informationen, der ihn zweimal pro Woche im Gefängnis besucht. Wir haben mit der Ausnahme von einem kurzen Telefonat Anfang Oktober seit fünf Monaten nicht mehr miteinander sprechen können. Bisher hält er sich gut – er ist sehr kräftig. Er ist in Einzelhaft, was psychologisch nur schwer auszuhalten ist, da man sich mit niemandem unterhalten kann.

Die Gefängnisse haben sich als ein Ort der völligen Gesetzlosigkeit herausgestellt.

Wie alle politischen Gefangenen hält er nur durch, da er Glauben hat in die Menschen im Land, dass sie nicht aufgeben. Deswegen dürfen wir auch nicht aufgeben, denn wir dürfen die politischen Gefangenen und alle Opfer der Repression nicht im Stich lassen. Nach den Wahlen im August haben wir gesehen, wie in den Gefängnissen gefoltert wird. Die Gefängnisse haben sich als ein Ort der völligen Gesetzlosigkeit herausgestellt. Die Menschen werden geschlagen, sie müssen auf dem nackten Boden schlafen, es gibt keine Matratzen und kein sauberes Trinkwasser.

Das Gespräch führte Luzia Tschirky.

Tagesschau, 26. Oktober 2020, 19:30 Uhr ; 

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