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Todesstrafe in Iran «Teheran wird eine weitere Eskalation vermeiden wollen»

Die Proteste in Iran dauern seit Wochen an. Auch heute ist es anlässlich des Jubiläums des «blutigen Novembers» im Jahr 2019, bei dem die Menschen aufgrund hoher Benzinpreise auf die Strasse gingen, wieder zu Strassenschlachten in Teheran und anderen Städten gekommen.

Der Justizapparat reagiert dabei äusserst repressiv, bereits wurde in mehreren Fällen die Todesstrafe verhängt. Gerüchte von Massenhinrichtungen machen die Runde. Droht nun eine weitere Eskalation? Der Experte Dieter Karg von Amnesty International ordnet ein.

Dieter Karg

Iran-Experte, Amnesty Deutschland

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Der ausgebildete Lehrer ist seit 1972 bei Amnesty International ehrenamtlich tätig. Seit 2005 ist er Mitglied der Iran-Koordinationsgruppe Amnesty Deutschland, von der er auch Sprecher ist. Dieter Karg ist in Leipzig wohnhaft.

SRF News: Welche Rolle nimmt die Todesstrafe in der jüngeren Geschichte Irans ein?

Dieter Karg: Es gibt sie seit den Zeiten der islamischen Revolution. Sie wird in hohem Masse angewendet. Die Häufung von politisch motivierten Urteilen geschieht dabei in Wellen. Besonders schlimm war es 1988, als zwischen 4000 und 4500 Anhänger der oppositionellen Volksmujahedin hingerichtet wurden.

Wie häufig wird sie ausgesprochen? Und gegen wen?

Weltweit steht Iran an zweiter Stelle. Pro Jahr kommt es zu 250 bis 300 Hinrichtungen. Diese Zahl hat zuletzt zugenommen. Letztes Jahr waren es 314, und im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden bereits 251 Urteile ausgesprochen.

Typische Delikte sind Mord und bewaffneter Raub oder Vergewaltigung. International wird die Regierung dafür kritisiert, dass auch «kleinere» Delikte mit der Todesstrafe belegt werden, darunter Ehebruch oder Drogenhandel. 2015 kam es allerdings zu einer Reform. Seither ist die Anzahl der Verurteilungen wegen Drogendelikte zurückgegangen. Eine weitere grausame Besonderheit: In Iran werden auch Personen zum Tode verurteilt, die zum Tatzeitpunkt noch Jugendliche waren.

Inwiefern hat sich die Praxis angesichts der jüngsten Proteste geändert?

Politisch motivierte Urteile, etwa gegen Mitglieder bewaffneter Milizen-Gruppen – sei es der Kurden oder Belutschen – hat es schon immer gegeben. Vor kurzem hat das iranische Parlament mit dem Straftatbestand «Kampf gegen Gott» härtere Strafen für Protestierende gefordert.

Unklare Lage bei Anzahl Todesurteile

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Über die Anzahl Todesurteile in Iran bestehen unterschiedliche Angaben. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, wurden am Mittwoch drei Mitglieder der Protestbewegung zum Tode verurteilt. Das Urteil laute auf schuldig wegen «Korruption auf Erden» und «Krieg gegen Gott», berichten Staatsmedien am Mittwoch. Insgesamt drohen gemäss Reuters 19 Menschen die Hinrichtung.

Bislang waren lediglich zwei Urteile bekannt: Am Sonntag hatte ein Gericht in Teheran eine Person zum Tode verurteilt, die für schuldig befunden worden war, «ein Regierungsgebäude in Brand gesetzt zu haben». Fünf weitere Personen waren ebenfalls zu Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren wegen «Versammlung und Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen die nationale Sicherheit und Störung der öffentlichen Ordnung» verurteilt worden.

Im Rahmen desselben Verfahrens verurteilte ein Revolutionsgericht eine weitere Person zum Tode, der vorgeworfen wurde, «Menschen auf der Strasse mit einer Stichwaffe terrorisiert, das Motorrad eines Bürgers angezündet und eine Person mit einem Messer angegriffen zu haben», wie die Agentur Mizan Online berichtete. «Der Angeklagte ist wegen des Einsatzes von Stichwaffen ein Feind Gottes», hiess es in dem Urteil.

Mit einer Gesamtbeurteilung muss man aber wohl noch zuwarten. 2009, bei der letzten grossen Protestwelle, gab es insgesamt acht Todesurteile. Wie viele davon jedoch vollstreckt wurden, ist nicht bekannt.

Wieso setzt die Regierung in Teheran auf dieses Mittel?

Die Todesstrafe soll als Abschreckung dienen und ein Damokles-Schwert sein, das über politischen Aktivisten schwebt. Der effektive Nutzen scheint gering. Protestierende im Iran riskieren den Tod ja ohnehin, wenn sie auf die Strasse gehen. Sie können durch die Sicherheitskräfte erschossen oder zu Tode gefoltert werden.

Die iranische Regierung will mit den Urteilen ein Exempel statuieren.

In der Praxis ist es meist so, dass der Sicherheitsapparat nach kritischen Ereignissen wie grossen Protesten, aber etwa auch bei christlichen Gottesdiensten, massenhaft Teilnehmende verhaftet. Zu Urteilen kommt es dann aber nur in wenigen Fällen. Diese fallen dafür umso drakonischer aus. Die Regierung will damit ein Exempel statuieren.

Wie geht der Justizapparat vor?

Vielfach lässt die Polizei Leute nach einer Festnahme einfach verschwinden. Sie werden von der Aussenwelt abgeschnitten, in vielen Fällen gefoltert und zu Geständnissen gedrängt. Erst dann bekommen sie Hilfe von staatlich genehmigten Anwälten. Von den Angeklagten gewünschte Juristen erhalten in vielen Fällen keine rechtzeitige Dokumenteneinsicht, dementsprechend häufig kommt es zu Verurteilungen. Dass in der aktuellen Protestwelle schon Todesurteile aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen verhängt wurden, zeigt, dass es sich dabei um Schnellprozesse handelt.

Wird die Lage nun weiter eskalieren?

Es könnte sein, dass sie weiter eskaliert. Ich gehe aber eher davon aus, dass Teheran versuchen wird, es nicht zum Äusserten kommen zu lassen.

Eine genaue Prognose ist jedoch schwierig. In den vergangenen Jahren ist es – bereits vor der aktuellen Welle – vermehrt zu Protesten gekommen. Dass die Menschen jetzt auch explizit gegen islamische Sittengebote protestieren, könnte die Machthaber verunsichern. Auf der anderen Seite: Der interne und internationale Druck war Teheran bislang immer ziemlich egal.

Das Gespräch führte Patrick McEvily

SRF 4 News, 07.11.2022, 07:00 Uhr ; 

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