Die Trump-Regierung betrachtet Europa als verfallende Kultur. Sie möchte die EU am liebsten auflösen und bilaterale Beziehungen zu den europäischen Staaten führen. Gleichzeitig suchen die USA engeren Kontakt zu konservativen und teils populistischen Parteien. Fredy Gsteiger über das transatlantische Zerwürfnis und seine Folgen für Europa.
Was bedeutet die Entwicklung aus sicherheitspolitischer Sicht?
Sie hat zumindest den Vorteil, dass sie Klarheit schafft. Die Europäer müssen sich eingestehen, dass sie sich künftig nicht mehr auf die USA verlassen können und gerade auch bei der Verteidigung auf eigenen Füssen stehen müssen. Die Trump-Regierung sieht keine Wertegemeinschaft oder historischen Bande zwischen den USA und Europa. Für Trump und seine Getreuen sind wir nicht Partner, sondern bestenfalls Kunden.
Wie kann die EU gegenüber Russland Stärke zeigen?
Grundsätzlich ist es nicht die EU, die von Russland etwas will, sondern umgekehrt. Russland erhebt den Anspruch, zumindest über die östlichen Teile Europas zu bestimmen. Aus Kreml-Sicht gehören sie zur russischen Einflusssphäre. Wenn Europa das nicht akzeptieren will, muss es gegenüber Russland Geschlossenheit zeigen.
Man muss beweisen, dass man imstande und willens wäre, russische Ansprüche abzuwehren – auch ohne die USA. Momentan wäre Europa dazu nicht fähig. Wenn es Russland vor Übergriffen abschrecken will, muss Europa erheblich mehr leisten. Das hiesse, dass Europa die Ukraine finanziell und militärisch noch weit stärker unterstützen müsste.
Wie viel würde eine effektive Unterstützung der Ukraine kosten?
Die britische Denkfabrik Chatham House, aber auch Militärstrategen haben Szenarien präsentiert, wie viel Geld Europa bereitstellen müsste. Verteilt auf vier bis sechs Jahre kommen sie auf eine Gesamtsumme von einer Billion Euro. Ein gewaltiger Betrag – den die EU als weltweit zweitgrösste Wirtschaftsmacht aber stemmen könnte.
Vorausgesetzt, der politische Wille dafür wäre vorhanden. Die EU könnte verschiedene Töpfe anzapfen, durch Anleihen Gelder beschaffen oder bisherige Investitionen umlenken. Denkbar wäre auch, Mittel der Europäischen Investitionsbank zu nutzen und die in Europa blockierten russischen Vermögen der Ukraine zur Verfügung stellen.
Wie könnte die Billion für die Ukraine eingesetzt werden?
Man würde eine Art sehr teure Versicherungsprämie zahlen – um damit einen noch viel teureren Schaden abzuwenden. Es wäre erheblich billiger, wenn es gelänge, Russland in der Ukraine zu stoppen, als wenn man selbst russische Angriffe abwehren müsste. Den Gegner von einem Krieg abzuhalten, ist stets kosteneffizienter, als einen Krieg zu führen. Europa hat im Moment den Vorteil, dass die Ukraine – natürlich aus Eigeninteresse – bereit ist, diesen Abwehrkampf gegen Russland zu führen.
Wie geeint steht Europa hinter der Ukraine?
Es ist überhaupt nicht geeint. Auch nicht, was die Frage der russischen Bedrohung angeht. Länder wie Ungarn und die Slowakei stehen auf russischer Seite. Länder wie Spanien sehen die Bedrohung als nicht so ernst an. Dazu kommt: In Europas Schwergewichten – Frankreich, Deutschland, Polen, Grossbritannien – stehen die Regierungen auf wackligen Füssen. Die Entscheidungsfreudigkeit und Entscheidungsfähigkeit sind begrenzt. Man kann lange von der «Koalition der Willigen» sprechen – wenn es keinen klaren, langfristigen Plan zur Unterstützung der Ukraine gibt, wird das im Kreml niemanden beeindrucken.