Die Überwachungskameras hängen überall – in Fussgängerzonen, an Strassenkreuzungen, in Einkaufszentren. Sie nehmen in der russischen Hauptstadt Moskau jeden in den Blick.
«Die Kameras helfen der Polizei ganz entscheidend bei der Arbeit», sagte kürzlich ein ranghoher Moskauer Polizist. Jedes Jahr würden jetzt schon mehrere tausend Verbrechen dank Videoüberwachung aufgedeckt. Und nun soll das System ausgebaut werden. 200'000 neue Kameras will die Moskauer Stadtregierung insgesamt installieren lassen – alle mit Gesichtserkennungsfunktion.
Die Kameras scannen sämtliche Passanten und gleichen die Gesichter in Echtzeit mit einer Datenbank gesuchter Personen ab. Durch diese Technologie soll Moskau noch sicherer werden, sagt die Stadtregierung.
Proteste in der Innenstadt
Doch dieses Versprechen freut nicht alle Bürgerinnen und Bürger – ganz im Gegenteil. Eine kleine Gruppe von Aktivisten protestierte kürzlich in der Innenstadt gegen die staatlichen Überwachungspläne. Die jungen Leute malten sich markante geometrische Muster aufs Gesicht. Mit diesem Trick verwirrten sie die Software in den Kameras, da das System sehr stark geschminkte Personen nicht erkennen kann.
Es geht wohl darum Aktivisten zu finden.
«Sie haben hier überall Kameras aufgehängt», sagt die Aktivistin und Wortführerin der Gruppe, Ekaterina Nenaschewa. «Es geht wohl darum, Aktivisten zu finden und sie aus politischen Gründen ins Gefängnis zu werfen.» Die junge Frau bringt ein Unbehagen zum Ausdruck, das viele liberale Moskauer haben. Wer sich in Russland gegen die Mächtigen stellt, muss mit Verfolgung rechnen. Umso unheimlicher ist der Gedanke, dass der Staat künftig immer weiss, wer sich wo bewegt.
Angst vor politischer Überwachung
Auch bei der Protestkundgebung tauchte die Polizei innert Minuten auf. Die Beamten nahmen mehrere Aktivisten fest. Der Vorwurf gegen sie: Teilnahme an einer ungenehmigten Veranstaltung. Nach ein paar Stunden kamen die jungen Leute wieder auf freien Fuss.
Offenbar gilt es in Russland bereits als Gesetzesverstoss, wenn man sich das Gesicht schminkt, um gegen die allgegenwärtigen Kameras zu protestieren.
«Offenbar gilt es in Russland bereits als Gesetzesverstoss, wenn man sich das Gesicht schminkt, um gegen die allgegenwärtigen Kameras zu protestieren», sagte die Aktivistin Nenaschewa. Die Festnahme der Aktivisten ist in der Tat ein schlechtes Zeichen. Sie schürt die Befürchtung, dass die vielen neuen Kameras in Moskau weniger der Verbrecherjagd dienen, als vielmehr der Überwachung von politisch aktiven Bürgern.
Heute Morgen, 19.2.2020, 6:00 Uhr; arnf