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Ukraine-Konflikt Strategie des Kreml: Verhandeln mit vorgehaltener Pistole

Heute treffen sich die Aussenminister Russlands und der USA in Genf, um über die Ukraine zu sprechen. Bereitet der Kreml einen Krieg vor?

Was will Russland? Der Kreml hat den USA und der Nato eine Reihe von Forderungen zukommen lassen. Unter anderem verlangt Moskau eine rechtlich bindende Garantie, dass weder die Ukraine noch andere ehemalige Sowjetrepubliken neu in die Nato aufgenommen werden. Zudem soll das westliche Verteidigungsbündnis sämtliche Soldaten und Waffen aus Osteuropa abziehen und auf Militärübungen in der Region verzichten. Die Forderungen laufen auf eine komplette Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur hinaus. Russlands Einfluss auf die Ukraine, im Kaukasus aber auch im Baltikum und anderen Ländern Osteuropas würde massiv zunehmen.

Für die USA, die Nato – und auch für die betroffenen Staaten – ist das nicht akzeptabel. Das Problem: Russland beharrt auf diesen Forderungen und sagt, sie seien nicht verhandelbar, weil sie zentrale Sicherheitsinteressen Russlands beträfen. Eine Reihe von Verhandlungsrunden vergangene Woche blieben erfolglos – keine Seite ist zu Kompromissen bereit. Der russische Vize-Aussenminister Sergej Rjabkow sagte darauf, er sehe keine Grundlage mehr für weitere Gespräche mit den USA.

Was erwartet Russland von den erneuten Verhandlungen in Genf? Moskau will in Genf seine sicherheitspolitischen Forderungen erneut thematisieren – und insbesondere ein weiteres Mal auf eine schriftliche Antwort drängen, wie das Aussenministerium in Moskau gestern bekannt gab. Der Kreml verlangt seit Wochen ein Schreiben aus Washington, in dem die Amerikaner zu jedem Punkt Stellung beziehen sollen. Überraschungen sind davon allerdings keine zu erwarten: Die Amerikaner haben bereits klar gemacht, dass sie nicht auf die russischen Wünsche eingehen werden. Insbesondere das Erweiterungsverbot für die Nato sei ein «Rohrkrepierer», sagte etwa US-Vizeaussenministerin Wendy Sherman. Vor diesem Hintergrund ist unklar, was sich der Kreml von weiteren Gesprächen erhofft.

Was macht der Kreml, wenn die Verhandlungen definitiv scheitern? Das weiss niemand – möglicherweise weiss das nicht einmal Wladimir Putin selbst. Auffällig ist aber, dass Russland ungeheuer weitgehende Forderungen gestellt hat – im Wissen, dass diese für den Westen nicht akzeptabel sind. Gleichzeitig drohen Kreml-Offizielle mit «militärisch-technischen Massnahmen», sollte Russland nicht bekommen, was es will. Was das bedeutet: unklar.

Der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze jedenfalls geht unvermindert weiter – offenbar werden Einheiten sogar aus dem fernen Sibirien über tausende Kilometer nach Westen gebracht. Auch im mit Moskau verbündeten Belarus sind inzwischen russische Truppen stationiert. Von dort aus könnte Russland die ukrainische Hauptstadt Kiew direkt angreifen. Den riesigen Aufmarsch kann man eigentlich nur so interpretieren: Während Russen und Amerikaner in Genf reden, bereitet Moskau einen Krieg gegen die Ukraine vor. Es ist wie Verhandeln mit vorgehaltener Pistole. Im besten Fall droht der Kreml nur, im schlimmsten Fall drückt er demnächst den Abzug.

SRF News, 20.01.2022, 17:00 Uhr

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