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Öl und Gas aus Russland «US-Sanktionen sind wesentlich wirksamer als die europäischen»

Neue Berechnungen der BBC zeigen, dass Russland noch immer viel Geld mit dem Export von fossilen Brennstoffen einnimmt. Auch aus dem Westen – trotz Sanktionen.

Derzeit arbeiten die USA an neuen Strafmassnahmen, die EU hat bereits ihr 18. Sanktionspaket angekündigt. Sergey Vakulenko ist Experte für die Öl- und Gas-Industrie. Er erklärt, warum US-Sanktionen um einiges wirksamer sind als die der EU.

Sergey Vakulenko

Ökonom, Carnegie Russia Eurasia Center

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Sergey Vakulenko ist Experte für die Öl- und Gas-Industrie am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. Er hat während 25 Jahren als Ökonom in der Öl- und Gasindustrie gearbeitet – unter anderem für Gazprom Neft und Royal Dutch Shell.

SRF News: Wie viel Geld fliesst heute noch aus Europa nach Russland?

Sergey Vakulenko: Europa ist kein zentraler Handelspartner Russlands. Bei Öl und Gas kommen etwa zehn Prozent der Einnahmen aus Europa. Das sind rund 50 Millionen Dollar pro Tag. Vor dem Krieg waren es fast zehnmal mehr.

Das zeigen die Berechnungen von BBC

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Konkret zeigen die Zahlen von BBC, dass aus dem Westen seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 mehr Geld für fossile Brennstoffe nach Russland geflossen ist, als der Westen an Hilfsgeldern in die Ukraine überwiesen hat.

Auf Öl und Gas entfallen laut BBC fast ein Drittel der russischen Staatseinnahmen und mehr als 60 Prozent der Exporte des Landes.

Trotz Sanktionen hat Russland nach Angaben des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) bis zum 29. Mai mehr als 883 Milliarden Euro mit dem Export fossiler Brennstoffe eingenommen, davon 228 Milliarden Euro aus den sanktionierenden Ländern.

50 Millionen Dollar pro Tag, das ist immer noch viel Geld.

Letztes Jahr hat Russland Öl und Gas im Wert von 220 Milliarden Dollar exportiert. Die rund 18 Milliarden, die Europa bezahlt pro Jahr, sind nicht entscheidend. Russland hängt vielmehr vom Weltmarktpreis für Öl und Gas ab.

Arbeiter repariert grosse Pipeline auf Leiter im Freien.
Legende: Ein Arbeiter auf einer Baustelle für die Erweiterung der russischen TurkStream-Gaspipeline (1.6.2020). REUTERS / Stoyan Nenov

Wer kauft heute das russische Öl und Gas?

In Europa kaufen die Slowakei und Ungarn russisches Öl. Beim Gas kommt etwa Serbien dazu. Flüssiggas wird zudem nach Frankreich, Belgien und Spanien geliefert und von dort in Europa weiterverteilt. Viel Gas und Öl kauft die Türkei. Hinzu kommen Brasilien, Pakistan und Saudi-Arabien, welches selbst nur wenig Heizöl produziert. Aber die wichtigsten Käufer sind China und Indien.

Darum exportiert Russland neu nach Indien

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«Indien ist aus logistischer Sicht für Russland ein ziemlich absurder Käufer», sagt Sergey Vakulenko. Zwischen Sibirien und Indien liegt der Himalaya, «deshalb gibt es keine Pipeline.» Das Öl müsse stattdessen lange Strecken per Schiff transportiert werden.

Eigentlich sei der nähere, Persische Golf der natürliche Lieferant Indiens. «Doch als Europa nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine kein Öl aus Russland mehr kaufen wollte, wurde Öl beispielsweise vom Persischen Golf nach Europa gebracht.» Aus Sicht des globalen Handels sei das eine sehr ineffiziente Situation.

Die EU hat ein Ultimatum angekündigt. Harte Sanktionen seien in Arbeit. Worum geht es da?

Die Europäer haben schon beim 17. Paket gesagt, es sei zerstörerisch. Nun sagen sie es vom 18. Paket. Man weiss noch nichts Genaues. Es ist die Rede von Sanktionen gegen russisches Flüssiggas. Vielleicht werden sie versuchen, einige weitere russische Banken vom Zahlungssystem Swift abzukoppeln. Doch das wird keine nennenswerten Auswirkungen haben, Russland verfügt über genügend alternative Systeme. Die EU hat seit Kriegsbeginn schon so ziemlich alle Sanktionen verhängt, die möglich sind.

Wo stehen die USA bei den Sanktionen?

Die US-Sanktionen sind wesentlich wirksamer, weil sie anders als die europäischen Strafmassnahmen extraterritorial sind. Das heisst, ausserhalb der EU können europäische Sanktionen nicht verhängt werden. Wenn also ein russisches Schiff Öl irgendwohin transportiert, nach Indien oder China, dann haben die europäischen Sanktionen keinen Einfluss darauf.

Anders die US-amerikanischen: Wenn ein russisches Schiff einen Hafen beispielsweise in den Emiraten anläuft und dort in Dollar für Dienstleistungen bezahlt, unterliegt die Transaktion der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit. Diejenigen, die den Dienst erbringen, können vor US-Gerichten verklagt werden.

Der US-Senator Lindsey Graham will 500 Prozent Zölle auf alle Waren erheben, die aus Ländern kommen, die mit Russland handeln. Welche Konsequenzen hätte das?

Der Gesetzesentwurf soll offenbar in den Kongress eingebracht werden. Graham würde dies nicht tun, wenn er sich nicht vorher mit dem Weissen Haus abgesprochen hätte. Die Frage ist: Können die USA 500 Prozent Zölle wirklich auf alle Waren aus Indien und China einführen? Die zwei Länder sind für die USA wichtige Handelspartner. Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird. Und wenn doch, wäre der Schaden für die USA vielleicht grösser als für Russland. Russland ist ein zu grosser Player auf dem Ölmarkt. Bei einer deutlichen Reduzierung der russischen Lieferungen würde es zu einer spürbaren Verknappung von Öl und Gas auf dem Weltmarkt kommen.

Das Gespräch führte Zita Affentranger.

Echo der Zeit, 30.5.2025, 18 Uhr ; 

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