Russische Drohnen in Polen - Tusk: «19 Verletzungen des polnischen Luftraums»
Nach mehrfachen Drohnenvorfällen greift Polen durch: Kampfjets zerstören unbemannte Flugobjekte, Flughäfen werden geschlossen. Was bedeutet das für die Sicherheit an der Nato-Grenze? Eine Übersicht.
Das ist passiert: In der Nacht auf Mittwoch – mitten in einer russischen Angriffswelle auf die Ukraine – hat eine grössere Zahl von Drohnen den polnischen Luftraum verletzt. Nach Angaben des Verteidigungsministers haben daraufhin Kampfjets ihre Waffen gegen die feindlichen Objekte eingesetzt. Von der Armee hiess es, mehrere Drohnen seien zerstört worden.
Der polnische Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz hat das Eindringen von mehr als einem Dutzend russischen Drohnen in den polnischen Luftraum als sehr schwere Provokation bezeichnet. Er sei in ständigem Kontakt mit seinen Amtskollegen in den Bündnisstaaten, sagte er am Morgen vor Journalisten. «Wir haben die Situation unter Kontrolle», versicherte er. Flugzeuge der polnischen Luftwaffe hatten die Drohnen in der Nacht abgeschossen. Die Suche nach den Trümmerteilen läuft.
Der Vorfall lasse sich nicht mit vorangegangenen Drohnen im polnischen Luftraum vergleichen, sagte Polens Regierungschef Tusk: «Dies ist das erste Mal in diesem Krieg, dass sie nicht aufgrund von Fehlern oder kleineren russischen Provokationen aus der Ukraine kamen. Zum ersten Mal kam ein erheblicher Teil der Drohnen direkt aus Belarus.»
Die Einzelheiten: Der polnische Regierungschef Donald Tusk hat im Parlament von mindestens 19 Verletzungen des polnischen Luftraums gesprochen. Nachdem am Dienstagabend um 22:06 Uhr erste Informationen über einen massiven russischen Luftangriff mit Drohnen und Raketen auf die Ukraine eingegangen seien, sei unter anderem das Awacs-System der Nato in Bereitschaft versetzt worden. Awacs steht für Airborne Early Warning and Control System (Luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem). Gegen 23:30 Uhr sei es zur ersten Verletzung des polnischen Luftraums gekommen, sagte Tusk vor den Abgeordneten des polnischen Sejm. Diese Verletzungen des Luftraums hätten bis etwa 6:30 Uhr am Mittwochmorgen angedauert. Der Abschuss von 3 Drohnen sei bestätigt, möglicherweise sei auch eine vierte getroffen worden, sagte Tusk.
Legende:
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk an einer ausserordentliche Regierungssitzung mit Vertretern des Militärs und der Rettungsdienste. (10.9.2025)
REUTERS/Kacper Pempel
EU sichert Polen Solidarität zu: Nach EU-Angaben gibt es Anzeichen für ein planmässiges Vorgehen Moskaus. «Vergangene Nacht haben wir in Polen die schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Beginn des Krieges erlebt, und Hinweise deuten darauf hin, dass sie absichtlich erfolgte», teilte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas mit. Als Konsequenz aus den jüngsten Entwicklungen mahnte Kallas an, die Kriegskosten für Moskau weiter zu erhöhen und die Unterstützung für die Ukraine zu verstärken. EU-Ratspräsident Antonio Costa sichert Polen die «volle Solidarität» der EU zu und auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont die Solidarität der Staatengemeinschaft mit Polen.
Das sind die internationalen Reaktionen:
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Deutschland: Der deutsche Aussenminister Johann Wadephul verurteilte den Vorfall. «Russland hat damit leichtfertig eine gefährliche Eskalation in Kauf genommen.» Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht von einem gezielten Einflug der Drohnen nach Polen, die von Belarus aus gestartet worden seien. «Die Drohnen sind ganz offenkundig auf diesen Kurs gebracht worden.»
Frankreich: Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnet den Einflug von Drohnen in den polnischen Luftraum als «schlicht inakzeptabel». Er kündigt ein baldiges Gespräch mit Nato-Chef Mark Rutte an. «Wir werden bei der Sicherheit unserer Verbündeten keine Kompromisse eingehen.»
Grossbritanien: Der britische Premierminister Keir Starmer kritisiert den Einflug von Drohnen in den polnischen Luftraum scharf: «Der barbarische Angriff auf die Ukraine an diesem Morgen sowie die ungeheuerliche und beispiellose Verletzung des Luftraums von Polen und der Nato durch russische Drohnen ist zutiefst besorgniserregend»
Tschechien: Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala spricht von einem Test für die Verteidigungsfähigkeiten der Nato-Staaten. Es sei schwer zu glauben, dass es sich bei dem Eindringen der Drohnen nur um einen Zufall gehandelt habe, schreibt Fiala auf X. «Das Regime von Putin bedroht ganz Europa und testet systematisch, wie weit es gehen kann.»
Nato: Nato-Generalsekretär Mark Rutte sagte am Mittwoch: «Ob es Absicht war oder nicht, es ist absolut rücksichtslos, es ist absolut gefährlich.» Man werde jeden Zentimeter des Nato-Gebietes verteidigen.
Polen beantragt Nato-Konsultationen: Die Regierung in Warschau hat Konsultationen im Rahmen von Artikel 4 des Nato-Vertrags mit den Verbündeten beantragt. Das sagte Regierungschef Donald Tusk im Parlament in Warschau. «Wir erwarten deutlich mehr Unterstützung bei der Verteidigung des polnischen Luftraums», betonte Tusk. Diese Provokation überschreite die bisherigen Grenzen.
Der Artikel 4 des Nato-Vertrags
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Der Artikel 4 des Nato-Vertrags sieht Beratungen vor, wenn sich ein Nato-Staat von aussen gefährdet sieht. Konkret heisst es darin: «Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.» Konkrete Konsequenzen müssen die Konsultationen im Rahmen von Artikel 4 nicht haben. Theoretisch könnte aber etwa als Folge die Luftraumüberwachung über die Nato verstärkt werden. Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 siebenmal in Anspruch genommen – zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Beantragt wurde das damals von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechien und der Slowakei.
Selenksi spricht von «gefährlichem Präzedenzfall»: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wirft Russland vor, Drohnen gezielt auf Polen gerichtet zu haben. Es habe sich nicht um eine einzelne Drohne gehandelt, die als Versehen bezeichnet werden könnte, schreibt Selenski auf X. Mindestens 8 Drohnen hätten im polnischen Luftraum operiert. Dies sei ein weiterer Schritt der Eskalation und ein gefährlicher Präzedenzfall für Europa.
Auswirkungen auf den Flugverkehr
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Mehrere Flughäfen wurden zeitweise geschlossen, darunter auch der internationale Flughafen Warschau-Chopin sowie die Airports in Lublin und Rzeszow im Osten des Landes. Der Flughafen Warschau-Chopin nahm mittlerweile den Betrieb wieder auf.
Das sagt Russland dazu: Russland weist die Vorwürfe zurück, für den Drohneneinflug nach Polen verantwortlich zu sein. «Wir betrachten die Anschuldigungen als haltlos», zitiert die staatliche Nachrichtenagentur RIA den russischen Geschäftsträger in Warschau, Andrej Ordasch. Der Kreml möchte sich nicht zu den Vorwürfen einer Verletzung des polnischen Luftraums durch russische Drohnen äussern. In diesem Fall sei das Verteidigungsministerium für Kommentare zuständig, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow auf Nachfrage von Journalisten.