Bevor Guy Ryder zur UNO stiess, war er Gewerkschaftsführer. Nun muss er das Reformvorhaben UNO-80 durchziehen, ein Reformprogramm, das vor allem auch ein radikales Abbauprogramm ist. Denn die Weltorganisation steckt in der Krise und muss Hunderte von Millionen Dollar sparen und weit über zehntausend Arbeitsstellen streichen.
SRF News: Guy Ryder, stecken Sie als ehemaliger Gewerkschafter in einem Dilemma?
Guy Ryder: Nun, es ist eine andere Aufgabe. Aber meine Erfahrung in der Gewerkschaftsarbeit ist dafür keine schlechte Vorbereitung. Auch jetzt geht es um Veränderungen und darum, wie Menschen bei den Vereinten Nationen künftig zusammenarbeiten. Ich will bei diesem Wandel auch die menschlichen, die sozialen Auswirkungen berücksichtigen.
Vor einem Jahr beschloss die UNO den Zukunftspakt. Heute ist der damit einhergehende Optimismus verflogen – was bedeutet das für die internationale Zusammenarbeit?
Der Zukunftspakt war ein Meilenstein in schwierigen Zeiten. Aber dank des Zukunftspaktes herrschte Optimismus. Man glaubte wieder an Fortschritte. Seither hat sich die Welt verändert.
Unser Hauptbeitragszahler – die USA – bezahlt derzeit nicht.
Es gibt neue, gravierende Herausforderungen. Wir dürfen aber nicht alle Ambitionen fahren lassen. Wir müssen die schwierigen Herausforderungen meistern – politische und finanzielle.
Der finanzielle Druck auf die UNO ist so gross wie nie zuvor. Was kann die UNO mit so viel weniger Mitteln noch erreichen?
Unsere finanziellen Mittel werden brutal reduziert. Nicht zuletzt, weil unser Hauptbeitragszahler – die USA – derzeit nicht bezahlt. Das beschränkt unseren Spielraum enorm. Wir dürfen aber nicht einfach sagen, mit weniger Geld können wir weniger leisten und nur noch unsere Schrumpfung oder unseren Niedergang verwalten. Wir müssen aus dem, was uns die Mitgliedstaaten weiterhin zahlen, das Maximum herausholen.
Sehen Sie Bereiche, wo sich Kosten senken lassen, ohne die wichtigsten UNO-Ziele zu verraten?
Ich bin kein Fantast. Ich weiss, dass es nicht reicht, effizienter zu werden. Wenn unsere Ressourcen erheblich gekürzt werden, können wir manche Dinge nicht mehr tun. Letztlich entscheiden unsere Mitgliedstaaten, wo unsere Prioritäten liegen. In der UNO-Charta sind die drei Bereiche Frieden und Sicherheit, nachhaltige Entwicklung sowie Menschenrechte zentral.
Regierungen wie die der USA verlangen, dass sich die UNO auf ihr Kerngeschäft konzentriert und meinen damit ausschliesslich Frieden und Sicherheit …
Ja, es wird eine Rückkehr der UNO zu den Grundlagen gefordert. Zu diesen gehören aber eben nicht nur Frieden und Sicherheit, obschon es da reichlich Probleme gibt. Doch die Mehrheit unserer Mitglieder sind Entwicklungsländer. Für sie ist es entscheidend, dass wir uns auch um Entwicklung kümmern, um die Schwächsten und Ärmsten.
Setzt die UNO künftig stärker auf Universitäten, auf NGOs, auf Private, nachdem sie sich immer weniger auf Regierungen verlassen kann?
Das eine schliesst das andere nicht aus. Aber die UNO ist und bleibt eine Organisation der Mitgliedstaaten. Letztlich entscheiden immer sie. Wir können zwar dank Partnerschaften mit nicht staatlichen Akteuren mehr erreichen. Deshalb freuen wir uns auch sehr über unsere Partnerschaft mit der ETH Zürich. Gerade in der Technologie ist Kooperation unverzichtbar. Das kann aber nicht zulasten der Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedstaaten gehen.
Die UNO-Reform ist dringend, weil das Geld schon jetzt fehlt. Bis wann muss der UNO-80-Plan greifen?
Wir haben enge Fristen. Bis Ende Jahre müssen wir ein Budget verabschieden. Es bedeutet allein für das UNO-Sekretariat 15 Prozent Einsparungen. Bis März müssen wir entscheiden, welche Aufträge wir noch erfüllen können. UNO-Generalsekretär António Guterres hat klar gesagt, dass er auf dem Reform-Gaspedal bleiben will. Aber sein Mandat läuft Ende 2026 aus. Wir werden sehen, wie die Nachfolgerin oder der Nachfolger fortfahren will mit dem Reformvorhaben. Jedenfalls wird uns die Sache noch das ganze kommende Jahr beschäftigen.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.